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Review: Killer 7

Vor ein paar Jahren war Nintendo die Firma, der man jeden wesentlichen Fortschritt auf unserem kleinen Spielplatz zugute gehalten hat und ohne Zweifel ist an dieser Idee auch was dran. Nahezu jedes Spiel was wir heute in den Händen halten fundiert auf Elementen, die bei Nintendo erfunden wurden.

Wenn mich heute jemand fragen würde wie Videospiele in Zukunft aussehen werden, werde ich nicht auf DS oder Revolution verweisen, nein, das Videospiel der Zukunft wird aussehen wie Killer 7.

Ich habe bei Erscheinen des Titels vor einem knappen Jahr gezögert, wollte das Risiko nicht eingehen 40€ für ein fehlgeschlagenes Experiment in den Sand zu setzen, das ich nicht wieder bei eBay verhökern könnte. Im Verlauf des Jahres geriet Killer 7 in Vergessenheit bis es mir vor etwa einem Monat von einem Freund ausgeliehen wurde. Eine Woche später schwirrte mir der Kopf. Hier war ein Spiel, so radikal anders, so progressiv, dass mir die Kategorien fehlten, darüber nachzudenken.

Vorsichtig möchte ich deshalb versuchen, Killer 7 zu sezieren und die verschiedenen Aspekte herauszukristallisieren.

Basically, if you don’t like Killer 7, it’s not because Killer 7 isn’t good enough for you, but because you aren’t good enough for Killer 7.

Diese Behauptung stammt aus einem Thread über das Spiel und so arrogant sie klingt, so wahr ist sie. Killer 7 kann nur dann verstanden werden, wenn du bestimmte Anforderungen erfüllst. Eine dieser Anforderungen ist ein sehr spezieller Sinn für Humor und ein ganz eigenes ästhetisches Empfinden. Eine Art Chemie zwischen dir und dem Spiel, die stimmen muss, etwas in der Weise, die Menschen zu Insidern in Bezug auf einen bestimmten Kontext machen, beispielsweise die Fähigkeit, sich ausschließlich mit Hilfe von Helge-Schneider Zitaten zu unterhalten. Diese besondere Eigenschaft mancher Dinge, die dazu führen, dass sie keine Ambivalenz zulassen, sondern ausschließlich extreme Meinungen provozieren. Wesentlicher Teil dieser Chemie ist bei Killer 7 deine Erfahrung als Videospieler. Es ist nicht nur schwierig, sondern völlig unmöglich die vielen Referenzen zu erkennen die Killer 7 offen und verdeckt präsentiert, wenn du ohne Vorwissen den Controller in die Hand nimmst und da diese Referenzen nicht nur schmückendes Beiwerk, Fanservice sondern fest in Handlung und Erzählung integriert sind, führt Killer 7 bei Uneingeweihten zwangsläufig zu Verwirrung.


Netter Seitenhieb auf miese Animes, wenn man solche alledings noch nie gesehen hat einfach nur krank

Kontext also, mehr oder weniger expliziter Rückgriff auf das Wissen des Spielers als zentrale Design-Entscheidung. Das war es was ich meinte als ich über die Ähnlichkeit zwischen Killer 7 und Metal Gear Solid 2 sprach. Wo Kojima allerdings gegen Ende des Spiels den Zuschauer mit immer mehr Videospielklischees konfrontiert bis der Showdown schließlich zur Groteske mutiert (“Turn the game console off now!“), verwendet Killer 7 mein Vorwissen noch geschickter, subtiler. Iwazarus Erklärungen wirken umso überflüssiger, wenn die Duplicator Smiles ihre Schwachstellen als leuchtend rote Punkte offenbaren, einem Symbol, das im Kontext “Videospiel” an Eindeutigkeit kaum zu übertreffen ist, dankbar sind wir ihm, wenn er in Random Town aus der Rolle des Hinweis-Gebers ausbricht und uns stattdessen gleich selbst mit den Schlüsseln zum Levelausgang versorgt. Während Metal Gear Solid vielen Spielern einfach zu abgedreht wurde, weil ihnen einfach der Sinn für Humor abging, sorgt Killer 7 für Orientierungslosigkeit.

Warum? An wem Killer 7’s ganze große Idee vorbeigeht, der steht ziemlich verlassen vor dem nackten Gameplay und wird nicht realisieren, dass eben dieses, welches offenbar kaum etwas hergibt, den Kern von Killer 7 ausmacht. Das Gameplay selbst ist der Wink mit dem Zaunpfahl auf all den Blödsinn der uns offensichtlich nichts ausmacht, wenn wir ihn, hübsch verpackt in einer leicht verdaulichen Story, präsentiert bekommen. Das zu erkennen, ist nötig um Killer 7 zu begreifen. Du musst bereit sein zu sagen “Ja verdammt, es ist unglaublich idiotisch dass diese merkwürdige Gravur die Pool-Pumpe aktiviert”. Während du das sagst, zählst du jedes dämliche Item auf dass du in Videospielen je gesammelt hast und grinst während dir klar wird, dass du in der Vergangegenheit trotz der enormen Banalität und der vielen verschwendeten Stunden eine diebische Freude an den kleinen Fortschritten, den überzogenen Zwischensequenzen und den immer neuen, aber doch irgendwie immergleichen Herausforderungen hattest.

Das war’s? Das war die die tolle Erklärung? Killer 7 als Parodie auf Videospiele mit Rätselelementen? Naja, das wäre ein bißchen einfach, Killer 7 leistet mehr als uns nur unsere eigene Vergangenheit vorzuführen. In all dem was uns an dem Spiel viel zu simpel vorkommt, liegt ein Ausblick auf die Zukunft.

Das beste Beispiel um dies zu illustrieren liefert mir Tomb Raider, sowohl die alten, als auch der neue Teil. Es hätte auch ein anderes Spiel sein können, aber Tomb Raider kommt mir in dem Zusammenhang sehr gelegen, weil es gerade aktuelles Thema ist. Schauen wir zuerst in die Vergangenheit. Das Rätselkonzept in Tomb Raider besteht aus sehr übersichtlichen Elementen und geht gut als Stellvertreter für andere Spiele durch: Schalter öffnen Wege, Wege führen zu neuen Schaltern. Manchmal müssen Gegenstände eingesammelt werden um die Schalter zu aktivieren. Auf die Spitzte geführt wurde diese Art von Rätsel durch Mikamis Resident Evil. Roter Diamant, blauer Diamant, einsetzen. Linke Schildhälfte, rechte Schildhälfte, die Tür geht auf. Instinktiv werden vollkommen sinnlose Gegenstände kombiniert um an den Haaren herbeigezogene Mechanismen zu aktivieren.

Enter: Tomb Raider Legends. Legends. als Stellvertreter der aktuellen Spielegeneration, ist natürlich in seiner Vergangenheit verwurzelt, Innovation ist Geschäftsrisiko. Leicht verändertes Konzept, gleicher Inhalt, doch drastisch veränderte Ausführung. Das Spiel nimmt dich an die Hand wie ein kleines Kind. Kein noch so simples Rätsel wird dir mehr zugetraut, alles muss in langen Kamerafahrten und schlechten Dialogen erklärt werden. Erinnert sich noch jemand an die Zisterne? Das fünfte Level im originalen Tomb Raider? Die Puzzles in diesem Level erstreckten sich über die gesamte Karte. In Legends beschränken die Rätsel sich auf einen Raum, schön linear und übersichtlich hängen die Räume aneinander.

Wo Legends und andere aktuelle Spiele sich noch zieren, zieht Killer 7 die volle Konsequenz aus dieser Entwicklung und schafft so ein enorm komfortables und befriedigendes Fortbewegungsschema: Wenn es sowieso nur in eine Richtung geht, brauchst du auch keine zwei Analogsticks, ein großer grüner Knopf reicht. Das wirkt zunächst extrem befremdlich, nach dem zweiten Level realisierst du aber, dass dem Spiel auf diese Weise nichts verloren geht, im Gegenteil. Die vorgegebenen Pfade beseitigen das Problem dass wir uns mit freier Bewegung im Raum geschaffen haben: Wohin mit der Kamera? Diese Frage erübrigt sich jetzt direkt doppelt: Sie kann leicht fest positioniert werden und uns zeigen was wir sehen sollen, obendrein sind wir nicht mehr drauf angewiesen das dies der pragmatische Blick nach vorn ist. Verlaufen können wir uns nicht, also steht es der Kamera frei, beeindruckende Perspektiven anzunehmen und jeden Moment des Spiels so krass in Szene zu setzen wie Jonny To’s The Mission, einem genialen Film in dem jede einzelne Einstellung ein Motiv für ein Poster liefern könnte.


Unmöglich wenn die Kamera nach vorn zeigen müsste

Neben der zunehmenden Linearität ist dieses krass in Szene setzen der zweite Starke Trend der sich in Spielen vermehrt beobachten lässt. Das Grundkonzept von Actionspielen war es sei je her, dem Spieler dieses Fuck Yeah!-Gefühl zu geben. Sonst nichts. Das Gefühl ein absoluter Badass zu sein. Verbesserte technische Möglichkeiten verschieben das Mittel dazu seit dem Ende der 32bit-Ära vom Gameplay zur Präsentation. Kratos wäre ohne seine maßlos überzogene, gekonnt inszenierte Gewalt ein Mauerblümchen zwischen Dante und Ryu Hayabusa, Burnout lebt von in Zeitlupe berstendem Blech und Explosionen und wenn Ninety-Nine Nights kein Grund ist sich eine 360 zu holen weiss ich auch nicht.

Killer 7 geht den nächsten Schritt, benennt offen Style und Gewalt als perfekt zusammenarbeitende Hauptdarsteller. Gegner explodieren in einer roten Wolke und spritzen ihr Blut in hohen Fontänen über den Bildschirm, jeder Kill wird mit Sprüchen wie “Get Blood” oder “More Blood” kommentiert, der rote Saft dient zur Entwicklung von Skills wie “Instant Kill” oder Fähigkeiten wie Kaedes aufgeschnittenem Handgelenk, das verborgene Durchgänge öffnet.

Die Inszenierung all dessen was auf dem Schirm passiert ist bemerkenswert. Nicht im Sinne von technischer Brillianz, sondern vielmehr weil der hier gewählte Stil so gut funktioniert, und perfekt zum surrealen Wesen des Spiels passt. Nimm dir die Zeit und betrachte die Formen die sich auf dem Bildschirm abzeichnen genau. In der gewählten Darstellung mit den harten Kanten, den flachen Schattierungen und den durchscheinenden Farbverläufen sind einzelne Formen nichtssagende Schemen. In ihrem Zusammenwirken, vor allem in Bewegung bilden diese Formen aber Gestalten die wir erkennen und zuordnen können.

Die Grafik vollführt damit auf dem schmalen Grat zwischen Zweckmäßigkeit und krassen Faxen das Kunststück, gleichzeitig super zu funktionieren und total geil auszusehen. Das lässt sich in gewisser Weise auf die Story übertragen. Es fällt zwar sehr schwer bestimmte Einzelheiten zu erklären oder in einen sinvollen Zusammenhang zu bringen, auch wenn sich manche die größte Mühe geben, vor allem wenn man wie eingangs erwähnt nicht die Voraussetzungen dazu mitbringt. Letzendlich ist das was sich am Ende von der Story absetzt kohärent genug, um eine spannende Erzählung zu bilden. An dem Rest werden alle mit Freude knobeln, die sich nach Mulholland Drive nicht im Regen, sondern vor eine Herausforderung gestellt sahen. Die Handlung ob ihrer Wirrungen als einfach nur konfus abzukanzeln übersieht leider, dass rätselhafte Geschichten sowohl durch Film (2001) als auch durch die Literatur (Kafka) legitimiert und deshalb allein kaum Grund genug für eine Abwertung sind. Der Augenmerk ist vielmehr darauf zu richten — und das gilt nicht nur bei der Betrachtung von Killer 7 sondern von so gut wie jedem künstlerischen Ausdruck — wie gut die eingesetzen Mittel das gesteckte Ziel erreichen und hier leistet das Spiel ganze Arbeit.

Man kann kein Killer 7 Review schreiben, ohne dem Soundtrack von Masafumi Takada mindestens einen Absatz zu widmen. Dieser ist so genial dass es mir stellenweise glatt die Sprache verschlagen hat. Die Effizienz mit dem hier die unterschiedlichsten Stile eingesetzt werden um den jeweiligen durch visuelle Gestaltung und Spannungsbogen der Handlung gegebenen Eindruck zu unterstreichen und zu verstärken ist mir in dieser Vollendung bisher nicht untergekommen. Die Bandbreite der hervorragend arrangierten Tracks reicht von Ambient und Muzak über Uptempo-Stücke, Drum&Bass sowie klassischer VGMusic bis hin zu mediterranen Klängen und Rock-Stücken. Bemerkenswert ist darüberhinaus, wie diese Stücke auch ausserhalb des Spiels funktionieren. Soundtracks wie der von Silent Hill ziehen einen guten Teil ihrer Wirkung aus den Assoziationen an das Spiel die beim Hören geweckt werden, möglicherweise ein unabwendbarer Nebeneffekt der entsteht, wenn man den Soundtrack einem Spiel mit bereits festgelegter Stimmung auf den Leib komponiert. Wie genau die Produktion des Killer 7 Soundtracks abgelaufen ist weiss ich nicht, doch viele Stücke wirken, als wären sie nicht unbedingt für das Spiel entworfen worden, sondern sorgfältigt aus bestehendem Material ausgewählt worden. Die sonnige Urlaubsmusik aus Random Town könnte ich meinen Eltern vorspielen, mit den Drum’n-Bass-Stücken eine Party beschallen und niemandem würde auffallen dass er einem Videospiel-Soundtrack lauscht.

Wenn ich in meiner immer knapper bemessenen Freizeit einem Spiel mehr als einen Durchgang zugestehe ist das schon ein Prädikat (das bisher Super Metroid, Metroid Prime, Metal Gear Solid 3, Symphony of the Night und Ninja Gaiden zuteil wurde), wenn beide Durchgänge auch noch innerhalb eines Monats stattfinden heisst das, dass hier ein absoluter Ausnahmetitel vorliegt. Nun, der Umstand wird dadurch begünstigt, dass Killer 7 recht kurz ist und sich durch die fortschrittliche Steuerung die Levels ziemlich flott durchspielen lassen, aber trotzdem… Beim zweiten Mal ergeben viele der Hinweise von Travis und Iwazaru mehr Sinn, man kann die Ereignisse besser in den Gesamtablauf einordnen, das ganze Spiel gewinnt dadurch enorm. Schlechte Kritiken erhielt Killer 7 bisher vor allem von denen, deren Aufmerksamkeitsspanne nicht bis zum Ende gereicht hat. Das kann ich zwar nachvollziehen, gleichzeitig bedeutet es aber, dass diese Leute das wichtigste verpasst haben und ihre Meinung auch unter Berücksichtigung dieser Tatsache genossen werden muss. Nicht jeder wird dem Spiel zwar gleich soviel Bedeutung zumessen wie ich, aber dass es sich bei Killer 7 um einen wichtigen Titel handelt der heute schon in einem Atemzug mit Rez und Ico genannt werden wird ist nicht von der Hand zu weisen.

PS: Ich bin gerade fertig, überarbeite noch die Links. Meine Mutter kommt herein und fragt mich wann ich morgen aufstehen muss. Im Hintergrund läuft “Residence” aus dem Soundtrack und sie meint “Och, das ist aber schöne Musik”…