What’s wrong with Final Fantasy X
27 Sep 2005Ich habe des öfteren an verschiedenen Stellen durchblicken lassen, dass ich mit dem Design von FFX absolut nicht warm werden kann. Was mir das bisher eingebracht hat war Unverständnis, und der Vorwurf zu “retro” zu sein, da ich als besseres Beispiel immer Final Fantasy VI angeführt habe. Auch wenn der folgende Text einen anderen Eindruck erweckt: Ich habe an dem Spiel tatsächlich Spaß gehabt, es zwar nicht ganz durchgespielt aber immerhin 44 Stunden hineingesteckt und mindestens genauso viele damit verbracht, Schettler beim Spielen zuzusehen, bloß hat uns nicht der narrative sondern der interaktive Teil des Spiels gefallen, vor allem das gute Kampf- und Charaktersystem und die optionalen Gegner am Ende des Spiels. Was an dem narrativen Teil alles schiefgelaufen ist, will ich hier erörtern.
Teil X ist der erste Nagel im Sarg von Final Fantasy. Auf drastische Weise werden hier viele spielmechanische Traditionen über Bord geworfen, ein Punkt der mich zunächst vor dem Spiel hat zurückschrecken lassen. Es wäre jedoch kurzsichtig, dies als Grund für FFX’ Scheitern anzuführen. Square hat die Serie in jedem Teil weiterentwickelt ohne ihre Grundsätze zu verraten und viele der Neuerungen wie das erwähnte neue Kampfsystem sind in FF-X gut bis sehr gut gelungen, andere Änderungen wie die fehlende Weltkarte machen aus X zwar weniger Final Fantasy, aber noch kein schlechtes Spiel. Ebensowenig will ich Square aus dem meiner Meinung nach extrem hässlichen Setting oder der schwachen Musik einen Strick drehen, hier kommt es wohl auf perönliche Vorlieben an. Darüberhinaus hat sich Square jedoch auch einige Fehler geleistet die das Spiel tatsächlich ganz übel aussehen lassen, vor allem im Bereich des Storydesigns, der Geschichte und der Charaktere, dem was das Spiel eigentlich zum Rollenspiel macht.
Final Fantasy war bis dato immer episch. Stets hat sich eine kleine Gruppe Helden zusammengefunden um zu Beginn des Abenteuers ein kleines Quest zu bestreiten, aber gegen Ende des Spiels dann die zivilisierte Welt, wenn nicht sogar das ganze Universum vor einem ultimativen Bösen zu bewahren. Der Weg dorthin war immer eine Reise mit Höhen und Tiefen, gespickt mit kleinen Geschichten, Heimkehr, Rückblenden, Aufbruch zu neuen Welten, Entdeckung versunkener Reiche, Untergang ganzer Kontinente, Krieg und Frieden, Liebe und Haß, Trauer und Freude. Während dieser Reise machten die Charaktere ein Reifung und Entwicklung durch, die es ihnen letztendlich ermöglichte, sich ihrer finalen Herausforderung zu stellen.
Final Fantasy X geht all dies vollkommen ab. An die Stelle des Epos rückt eine übersichtliche Geschichte in 3 Teilen. Zunächst wird Tidus völlig unerklärlich in eine fremde, unbekannte Welt gezogen. Dort sieht er sich nicht vor eine heldenhafte Aufgabe gestellt, sondern tingelt mit einer bunt zusammengewürfelten Truppe schnurgerade von Tempel zu Tempel während sich nach und nach Teile des Geheimnisses um ihn und Spira lüften. Am Ende steht die Party vor der Aufgabe, seinen Vater, ein durchgeknalltes, aber verglichen mit Sephiroth oder Kefka harmloses Monster zu vernichten und Harmonie in Spira herzustellen. Diese stinklangweilige Geschichte plätschert auch noch einfach so vor sich hin, ohne irgendwelche bemerkenswerten Höhepunkte. Alle wichtigen Ereignisse werden von unseren Helden selten selbst erlebt, sondern sind in der Regel bereits in der Vergangenheit geschehen und werden nur noch einmal erzählt.
Gute Grafik kann einem guten Spiel die Krone aufsetzen, ist aber entgegen anderslautender Behauptungen weder essentiell für ein Spiel noch kann sie aus Dreck Gold machen. Final Fantasy X ist hierfür ein Paradebeispiel; eine flache Geschichte kann auch von noch so toller Grafik nicht spannend erzählt werden. Schmerzlich wird das verschenkte Potential in dem Moment klar, in dem Seymour Anima beschwört: Die Szene profitiert enorm von den grafischen Fortschritten die Square seit FF IX gemacht hat. Leider leider werden diese Fortschritte im sonstigen Verlauf des Spiels kaum genutzt um Dramatik und Spannung zu erzeugen. Stattdessen lässt man die Hauptfiguren einige sehr schmalzige Szenen darstellen, ich denke da zum Beispiel an den Aufbruch zur Mi’hen Highroad. Absolut fürchterlicher Höhepunkt in dieser Hinsicht ist Yunas und Tidus Stelldichein im Lake Macalania: oberflächliche Kitschüberfrachtung wie hier ist weder emotional noch glaubwürdig.
Welches Motiv stammt aus der Airbrush-Abteilung des EMP-Katalogs?
Wesentlich realere Gefühle hat Square hingegen in vergangenen Teilen geweckt, diese haben nämlich tatsächlich Gebrauch von dem gemacht, was dafür nötig ist: Drama. Wo die Zerstörung des Dorfes Kilika, zu dem wir keinerlei Beziehung haben, gerade dazu dient, Yuna im Sonnenuntergang tanzen zu lassen, begräbt Shinra Midgars Sektor 7, das Zuhause unserer gerade liebgewonnenen Helden unter Tonnen von Schutt um sich für den zerstörten Reaktor zu rächen und tötet dabei tausende Unschuldiger.
Neben Spannung dienen solche Szenen auch dazu, den Plot zu motivieren, den Protagonisten die Gründe ihrer Handlung zu liefern. Diese treibende Kraft wurde in FFX vergessen. Unsere Handlungen werden nicht motiviert. Früher hieß es: “Rette die Prinzessin, du bist der Captain der Leibwache”, “Untersuche die Höhlen von Narshe, das Empire zwingt dich dazu” oder eben “Spreng den Reaktor, du hast als Söldner bei Umweltterroristen angeheuert”. Die anfängliche Aufgabe entpuppt sich dann als Teil eines größeren Übels und die Geschichte nimmt ihren Lauf, jeder Abschnitt als Konsequenz des vorangehenden. In FFX heisst es “Whoa, 1000 jahre in der Zukunft, ich schließ’ mich dieser Truppe hier an, ich hab nix besseres zu tun“, dann tingelt man durch Spira und guckt was passiert. Square war sich stets bewusst, dass der Spieler gerade zu Beginn, wenn er noch wenig Beziehung zur Spielewelt hat, besonders intensiv getrieben werden muss, deswegen startete Final Fantasy bisher stets mit einer überschaubaren, abgeschlossenen Aufgabe, die den Spieler dann an die eigentliche Geschichte heranführte. Völlig anders in FFX. Der Anfang des Spiels ist nicht nur unmotiviert, sondern auch noch höchst verwirrend und bis ganz zum Schluss mit der restlichen Handlung nicht verbunden. Die Erzählstimme berichtet von Dingen die für den Spieler völlig im Dunklen liegen, eingestreute lynchesque Traumsequenzen wirken deplatziert und sorgen anstatt für ein spannendes mysteriöses Feeling nur für noch mehr Unklarheit was denn das nun alles soll.
Genauso flach wie die Story sind auch die Charaktere, mit Ausnahme von Auron, Lulu und Khimari. Diese 3 haben einen geheimnisvollen Hintergrund, neutrale Synchronsprecher und ein unaufdringliches Verhalten. Diese Merkmale resultieren aus ihren zurückhaltenden Persönlichkeiten, die praktischerweise viele Fehler die Square bei den Figuren gemacht hat verbergen. Ihnen gegenüber stehen Wakka, Yuna, Tidus und Rikku, 4 Karikaturen stereotyper Alltagspersönlichkeiten die allesamt unter dem leiden, was im Englischen als overacting bezeichnet wird: Wakka, der Jar Jar Binks des Spiels, unsere stets furchtbar gut gelaunte Sportskanone mit der unglaublich albernen Frisur und den viel zu großen Hosen. Yuna, eine Heulsuse wie sie im Buche steht, eine Figur wie eine weiche Nudel, ohne Rückgrat, Streberin, Paradebeispiel für eine unerträgliche Synchronstimme: tonlos und leierig. Rikku hingegen: überdrehtes Girlie, knapp bekleidet, vorlaut und hibbelig. Absoluter Tiefpunkt ausgerechnet der Hauptcharakter: Tidus, das Abziehbild des nervigen kleinen Bruders tritt von einem Fettnäpfchen ins andere und stellt in unpassenden Momenten unpassende Fragen. Sein Verhalten ist so daneben, dass ich oft nicht umhin kam, meinem Fernseher Kraftausdrücke an die Mattscheibe zu werfen. Schlimmer als Wakka ständig grundlos gut gelaunt: Wer feststellt dass er 1000 Jahre in die Zukunft befördert und dort von Techno-Hippies gekidnappt wurde, fängt nicht an, an Deck ihres Schiffes herumzualbern. Das ist einfach unglaubwürdig. Machmal hatte ich sogar den Eindruck, dass wir Tidus hassen sollen, dass Square ihn absichtlich als unsympathischen Spasti einführt, um hinterher den “Reifungsprozess” den er auf seiner “Reise” durchmacht darzustellen, indem er sich gegen Ende zunehmend normal benimmt. Der Vaterkonflikt, der immer wieder mal beschließt Handlungselement zu werden, hätte für eine solche Entwicklung einen wesentlich besseren Rahmen geliefert, wird aber vom Spiel kaum zu mehr genutzt, als der Tidus Prototyp ein klitzekleines bißchen Persönlchkeit einzuhauchen.
Ein Argument dem ich auch immer wieder begegne ist, dass die hochauflösenden Charaktermodels endlich Emotionen auf den Spielfiguren zulassen. Das ist der größte Bullshit den ich je gehört habe: Zur Zeit von FFX waren Squares Animateure noch lange nicht so weit, ihren Figuren vernünftige Animationen zu verpassen. Ihre Versuche endeten stattdessen in steifen Grimassen die bestenfalls leichte Variationen ihrer fest einmodellierten Grundzüge darstellten. Ähnlich fehlerhaft wie die Mimik sind auch die Gebärden der Charaktere umgesetzt. In den wichtigen Dialogen mit animierten Figuren fuchteln diese mit ihren Gliedmaßen in der Luft herum wie in der Augsburger Puppenkiste. Beides -Gestik und Mimik- sind selten synchron zu dem was gesprochen wird. Das ergibt beim Betrachten ein äußerst bizarres Schauspiel. Ladezeitbedingte Pausen zwischen den Sätzen zerreissen zusätzlich den Redefluß; zur Wahl der Synchronstimmen habe ich mich ja bereits geäußert.
Sorry, aber…
Ebenso merkwürdig wirken die Dialoge im Spiel die nicht animiert und gesprochen werden. Hier bedient sich Square Methoden, die sich in vergangenen Teilen zwar bewährt haben, in Final Fantasy X aber nicht mehr passen. Eine Figur steht steif in der Ecke, eine andere kommt angerannt, beide stehen sich gegenüber, wechseln ohne sich zu bewegen einige Worte, machen auf der Stelle kehrt und gehen auseinander. Zwei Charaktere voreinanderzustellen und sie still ein paar Sätze sagen zu lassen hat mit der 2D-Klötzchengrafik oder den überproportionierten Figuren in VII und IX perfekt funktioniert, da dies mit mit dem übrigen Stil der Spiele harmoniert hat, mit detaillierten Level- und Charaktermodels wirkt eine solche Szene, gerade im Kontrast zu den animierten, gesprochenen Dialogen nur noch hölzern.
Auf diesen Punkt möchte ich etwas näher eingehen und den Vorbehalten gegenüber Final Fantasy VI etwas entgegensetzen: Die Grafik des Super Nintendo ist verglichen mit der PS2 technisch natürlich stark eingeschränkt, doch Not macht erfinderisch. Cartoons sind durch die Wahl ihrer Stilmittel ähnlich eingeschränkt. Die Animateure in früheren Teilen der Serie waren sich dessen bewusst und haben diese Schwäche in eine Stärke verwandelt: Die cartoonartig überzeichnete Mimik und Gestik, die in ähnlicher Form zum Beispiel auch bei den frühen Lucas-Arts Adventures eingesetzt wird, ist extrem effektiv und deckt mühelos ein Spektrum an Emotionen ab, das auf jeden Fall breiter ist als das was Tidus oder Yuna in FF-X abliefern.
An Ausdruckskraft kaum zu überbieten
Strebt man photorealistrische Grafik an, kann man sich dieser Elemente natürlich nicht mehr bedienen sondern muss versuchen, ebenfalls “realistische” Mimik und Gestik zu realisieren. Square war sich hier seiner Grenzen nicht bewusst und ist, statt sich für eine funktionierenden Lösung zu entscheiden, lieber aufs Ganze gegangen, haben ihr Ding dann aber nur halbherzig durchgezogen wie im Beispiel mit den Dialogen gezeigt.
Ein weiteres Element dem Final Fantasy einen großen Teil seines Charmes verdankt geht Teil X ebenfalls völlig ab: Das Spiel ist vollkommen humorlos. Frühere Final Fantasies waren stets gespickt mit Slapstick-Einlagen, selbstironischen Referenzen und Gimmik-Charakteren. Was davon in Final Fantasy X übrig geblieben ist sind die beiden erbärmlichen Gestalten Donna und Barthello die mir allenfalls ein müdes Augenrollen abringen können.
Bei aller technischen und grafischen Finesse bleibt Final Fantasy X ein komplett seelenloses Ungetüm. Square hat sich Photorealismus auf die Fahnen geschrieben, ohne ein funktionierendes Konzept zu haben, wie sich das mit dem Geist von Final Fantasy vereinbaren lässt und ohne die nötigen Techniken ausreichend zu beherrschen: Animationen, Erfahrung mit Synchronsprechern und das Wissen die neuen Möglichkeiten vernünftig einzusetzen um die Geschichte zu erzählen.
Final Fantasy VI ist in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteil zu X. Mit dem dritten 16bit-FF hat Square alles aus der damaligen Technik und aus dem Format herausgeholt was nur möglich war. In jeder Szene steckt eine Menge Liebe, die Figuren sind gut ausgearbeitet und haben jeweils eigene Quests die dem Spieler ihren Hintergrund näherbringen, die Aufgabe vor der die Party steht ist gigantisch, der Weg zu ihrem Ziel lang und ereignisreich, der Soundtrack mitreissend. Genauso wie einen heute Schwarz-Weiss-Filme, alte Schallplatten oder Gemälde begeistern können, sind das was Final Fantasy VI so großartig macht, diese zeitlosen Qualitäten.
Doch auch noch darüber hinaus kann man sich an der 10 Jahre alten Grafik und Sound erfreuen. Dieses Erfreuen an einem kreativen Werk, das Final Fantasy zweifellos ist, stellt sich dann ein, wenn man in dem Gegenstand der Betrachtung eine besondere künstlerische (meinetwegen auch handwerkliche) Leistung erkennt. Natürlich fällt das schwer, wenn man an alles absolute Maßstäbe anlegt und das einzige Augenmerk auf Realismus und technische Perfektion richtet. Stattdessen sollte man sich ansehen, was andere zeitgenössische Games leisten und wie sich das betrachtete Spiel zu ihnen verhält, ausserdem gilt es zu untersuchen, was das Spiel anstrebt und wie nahe es seinem Ziel kommt. Unter diesem Blickwinkel hat Square mit FF VI eine beeindruckende Leistung hingelegt, während X allesfalls in Sachen Fanservice glänzte. Inzwischen wird dieser Platz von den unzähligen FF-VII Sequels beansprucht, damals war das Merchandisevolumen von X echt irre.
Ich habe lange überlegt, ob ich die folgende Datei an dieser Stelle veröffentlichen soll. Sie enthält eine zSnes-Aufnahme der berühmten Opernszene in Final Fantasy VI, für mich Essenz und Krönung dessen was Square auf dem Super Nintendo geleistet hat und vor zwei Tagen anstoßgebend für mich, diesen Artikel hier zu schreiben. Es sollte sie sich niemand ansehen, der vorhat das Spiel noch zu spielen, um sich diesen wirklich tollen Moment dadurch nicht zu verderben. Ich habe mir vielmehr gedacht, dadurch denen, die explizit nicht vorhatten sich mit dem Spiel zu befassen, die Möglichkeit zu geben diese Szene zu erleben. Trotz der Gefahr dass sie aufgrund fehlenden Bezugs zu den handelnden Figuren ihre Wirkung verfehlt, demonstriert sie dennoch viele angesprochene Aspekte : den Slapstick und die Selbstironie, die Ausdruckskraft der Pixelfiguren, die hervorragende Musik, vor allem aber die Sorgfalt und Leidenschaft die hinter dem Spiel steckt.
Ihr braucht zum Abspielen zSnes 1.42, das “Final Fantasy III (U) (V1.1) [!].zip” ROM (GoodSNES) und den Film: Final Fantasy III (U) (V1.1) [!].zmv. Kopiert ROM und Film in das gleiche Verzeichnis, startet das Spiel und wählt unter “Misc”->”Movie Options” Slot 0 und drückt “Play”. Die Kampfszenen lassen sich mit dem FastFwd-Key (Einstellbar in “Misc”-“Game Keys”) vorspulen. Es ist auch jederzeit möglich, den Film anzuhalten und selbst das Steuer zu übernehmen. Wem das zu lästig ist, der kann sich via Youtube zumindest den Hauptteil der Opernszene ansehen: