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Vice City, Drugs & Rumblepack

Wenn ich den Finger auf mein Lieblingsspiel legen müsste, würde ich spontan GTA: Vice City anführen. Kurz darauf müsste ich zugeben, dass ich auch mit sämtlichen anderen Teilen der mittlerweile 5 Spiele umfassenden Serie zu gegebener Zeit ausgiebig geliebäugelt habe. GTA, das Original, habe ich vor etlichen Jahren zwar gespielt, allerdings weniger bewusst und auch weniger intensiv als die übrigen Spiele. Das ursprüngliche GTA ist zusammengeschustert – die Grafik sehr rauh, die Kameraführung zu träge, die Steuerung gnadenlos hart. Um den Kern des reizvollen Spielprinzips – aus der Vogelperspektive einen Gangster durch eine virtuelle Stadt steuern, mit der Option, in Fahrzeuge einzusteigen und nach Lust und Laune herumzufahren – türmen sich diese Schnitzer im Spiel-Spieler-Interface zusammen mit dem (mir damals) unmöglichen Schwierigkeitsgrad und führen zur Unzugänglichkeit der eigentlich genialen Erfahrung.

GTA2 hobelt an den entsprechenden Stellen und kommt mit butterweicher Grafik, toleranter Steuerung und der Möglichkeit, das Spiel speichern zu können, deutlich weiter dem Spieler entgegen. Außerdem hat sich im Spiel selbst etwas getan: Es gibt jetzt einen Tag-und-Nacht-Rhythmus, der zusammen mit der Beleuchtung der Stadtszenerie zu ausgesprochen atmosphärischen Bildern führt. Zudem lassen sich die drei Städte deutlich voneinander unterscheiden – aus der relativ niederkomplexen Vorstadt spielt man sich durch das verzweigtere Industrial District in die hautengen Straßen und Highways der Innenstadt. Irgendwann habe ich mich mal hingesetzt und die zweite Stadt grundehrlich und ohne Cheats freigespielt. Für die dritte hat es nicht gereicht, die war mir damals aber ohnehin zu unübersichtlich.

GTA3 ist Boomtown, denn 3D. Was diese Konversion mit dem Spielprinzip anrichtet, ist einfach herrlich: Größenverhältnisse, Distanzen und Höhenunterschiede werden jetzt leichter ersichtlich. Was zuvor noch mit Abstand von Oben betrachtet wurde, wird jetzt über die Schulter der Spielfigur miterlebt. Wo die Stadt sich zuvor noch relativ zahm als Fläche behandeln liess, öffnet sich jetzt der Raum; die Ansprüche an das Spiel steigen drastisch, und Rockstar meistert sie ganz ordentlich. Das zeigt sich nicht nur im Gameplay – auch die Bilder, die der Spieler zu sehen bekommt, unterscheiden sich vom Vorgänger. GTA3 war für mich ganz unabweisbar weniger ein Spiel denn eine Erfahrung; Missionen in einem Videospiel zu erledigen ist weit weniger eine Pflichtaufgabe, wenn es hautsächlich darum geht, schnelle Autos mit lauter Musik durch die Straßen einer Großstadt zu jagen, die mit Aufmerksamkeit für visuelle Details und Ästhetik gestaltet wurde. Ich habe das ganze so lange getan, bis ich die Musik der virtuellen Radiostationen, die ununterbrochen in mein Unterbewusstsein getropft ist, richtig gut fand.

In GTA: Vice City verändert sich das Thema der Stadt, die jetzt nicht mehr in der Gegenwart, sondern in den 80ern steht, was ein genialer Kunstgriff ist. Eine knallbunte Inselstadt, gesäumt von Palmenstränden, Nachts in den herrlichsten Farben angestrahlt, untermalt von den sorgfältigst ausgesuchten Perlen der Rock-, Pop- und New-Wave-Musik der achtziger Jahre. Vice City hat mich als Spiel länger gefesselt als irgendein anderes Spiel, überhaupt, jemals, und ich besitze noch nicht einmal eine Playstation. Über mehrere Monate meiner Zivildienstzeit hinweg saß ich Abends (und, wenn die Arbeit das zuließ, auch schon Mittags um Zwölf) bei Shad auf dem Sofa und habe Vice City ge-, oder besser, be-spielt. Während Anfangs noch der Fortschritt der Spielmissionen im Vordergrund stand, weil die Story mehr oder minder interessant war und auch fortwährend neue Spielelemente freigelegt hat, haben wir uns gegen Ende dieser Zeit ausschließlich mit den zahlreichen Mini-Missionen, die das Spiel zur Verfügung stellt, beschäftigt, oder sind schlicht und einfach stundenlang mit einem schnellen Motorrad über die Hauptstraßen gebrettert. Dabei waren wir häufig nicht nüchtern. Es gibt eine ganze Menge Gründe, warum das so lange so gut funktioniert hat. Ich fange ganz oben an: Die Farben, die auf dem Fernseher erscheinen, während Vice City spielt, sind einzigartig. Die 80er-Thematik erlaubt ein Set von sanften Sand-, Blau- und Grautönen in der brennenden Mittagssonne tagsüber und knalligsten Neonfarben in der Nacht, die sich nicht nur ausgezeichnet auf einer Bildröhre darstellen lassen, sondern auch noch angenehm anzusehen sind. Die Musik des Spiels ist so gewählt, dass man auch mit anfangs gegenläufigem Geschmack davon gefesselt wird – in meinem Fall war das V-Rock, die mich mit Slayer geködert, auf Twisted Sister umgepolt und zum Pop nach Flash FM weitergereicht haben; danach war der Widerstand gebrochen. Ich habe mir das komplette CD-Box-Set zugelegt, um die Musik weiterzuhören, ohne bei Shad auf der Couch sitzen zu müssen (was zwar angenehm, aber nicht 24/7 möglich war).

An den beiden ersten Punkten merkt man schon, dass Vice City vielleicht schon toll sein könnte, ohne überhaupt ein Videospiel zu sein; es kommt aber noch besser. Die Stadt liefert nicht nur den Spielraum für die eigentliche Action, sondern sieht gleichzeitig noch gut aus, offenbart an jeder Ecke interessante Details und wird über den gesamten Verlauf der Spiels hinweg nicht langweilig. Die Gestaltung der Stadt möchte ich als Meisterstück im Level-Design bezeichnen. Spieltechnisch existieren in dieser Stadt ausgesprochen wenige Straßenzüge, die nicht in irgendeiner Mission des Spiels mindestens einmal befahren werden oder sogar entscheidende Rollen übernehmen, was bei einer derartig riesigen Stadt bereits eine Herausforderung ist. Zusätzlich dazu unterscheiden sich die einzelnen Viertel der Stadt mitunter drastisch voneinander, sowohl vom Gameplay, also der erforderlichen Fahrweise, als auch von der visuellen Gestaltung, ohne dabei aber sprunghaft oder unvermittelt aneinander anzugrenzen – die Übergänge sind fliessend. Der Gesamteindruck ist dicht, organisch und bis zuletzt konsistent; die Orientierung fällt nach einiger Zeit kinderleicht, da sich einzelne Bereiche der Stadt immer deutlich unterscheiden lassen, ohne das diese Unterschiedlichkeit negativ ins Gewicht fällt. Das Ganze ist die gelungene Fusion aus Gameplay-orientierter, technischen Vorgaben unterliegender Flächen- und Formenordnung sowie ästhetisch anspruchsvoller visueller Gestaltung im vierdimensionalen Raum. Das Beides zusammen so wunderbar funktioniert, schreibe ich der Kompetenz der Entwickler zu, für die ich einen ausgesprochenen Respekt hege. Das Spiel selbst muss eigentlich nichts anderes mehr tun, als dem Spieler den Zugang zu ermöglichen; dies tut es durch das Angebot von Rahmenbedingungen zur Nutzung der Stadt in Form von Minispielen und Missionen, die den Spieler mit den Verlockungen der Storyline motivieren. Danach werden solche aufgesetzten Regeln und Motivationen nicht länger benötigt, vorausgesetzt, der Spieler findet Gefallen an dem Spiel mit der Stadt. Und weil das ganze so wunderbar funktioniert, ist Vice City mein Lieblingsspiel. Hinzu kommen natürlich noch die vergleichsweise kleinen Details – zum Beispiel die Motorräder, Helikopter, Flugzeuge und Boote, die als Fahrzeuge nach GTA3 hinzugekommen sind; hauptsächlich die Motorräder, mit denen man durch Gewichtsverlagerung die unsinnigsten Manöver fahren kann, und die das Gamepad bei jeder Bordsteinkante rumblen lassen. Am Ende der monatelangen Odyssey durch Vice City waren schnelle Motorräder und Sonnenuntergänge der ausschlaggebende Grund, mich bei Shad auf die Couch zu setzen und Drogen zu konsumieren. Wir haben weniger als 40% des Spiels geschafft, die Storyline also nicht bis zum Ende gespielt. Unter Drogen hatten wir Schwierigkeiten mit dem Zielen. Etwas später kam Vice City für den PC heraus, was ich dank Maus und Tastatur in wenigen Wochen durch hatte, allerdings ohne die Begeisterung, die ich dafür auf der Playstation 2 empfand. Ich habe mir, viel später allerdings, ein PS2-Gamepad mit Adapter für den PC zugelegt; natürlich nicht ausschließlich für Vice City. Allerdings habe ich es zu dieser Gelegenheit noch einmal gestartet, um zu sehen, wieviel das Gamepad zum Spiel beitragen kann; ich muss sagen, dass die unverkrampfte Steuerung durchaus ihren Teil an der Erfahrung Vice City hatte.

GTA San Andreas macht weniges besser und einiges schlechter. Die Städte, diesmal drei an der Zahl, sind weniger organisch und nicht so dicht wie in Vice City; es tun sich häufiger Straßen und Alleen auf, die in der Storyline nicht ein einziges Mal behelligt werden. Untereinander machen die Städte einen uneinheitlichen Eindruck und sind auch weniger angenehm zu befahren. Dafür gibt es einen Wald mit Berg und eine Wüste mit Ölförderpumpen, also neue Atmosphären, die vorher noch nicht da waren. Dazu Features im Überfluss: Wechselnde Spielcharakterbekleidung, ein Dutzend Flugzeug- und Hubschraubertypen, Spielautomaten, Fitneßstudio, und so weiter und so fort. Und plötzlich gibt es im Ghetto Zäune – passend zur neuen Fertigkeit des Spielcharakters, über Zäune und auf Dächer zu klettern. Schwimmen kann er jetzt auch, was aber wirklich mal nötig war. Die Musikauswahl aus den 90ern ist dann aber nicht so lückenlos gefällig wie im Vorgänger, auch wenn DJ Hans die House-Musik mit deutschen Akzent und nobelpreisverdächtigen Ansagen begleitet. Insgesamt gefällt mir San Andreas nicht so sehr – durchgespielt habe ich es trotzdem, auf dem PC. Es war aber nicht dasselbe wie drei Monate Couch.