Unreal
01 Sep 2005
Eines der mir am meisten verhassten Spiele ist Halo. Ok, das ist nicht ganz richtig, es gibt eine menge Spiele um die ich noch wesentlich größere Bögen machen würde. Dazu gehört alles dessen Genre “Strategie”, “Aufbau” oder “Management” enthält, namentlich Siedler, Civilisation oder Age of Empires. Alles wo ich putzige kleine Soldaten auf putzigen kleinen Pferdchen über saftig grüne Wiesen Richtung Feind marschieren lassen muss während mir fürchterlich hässliche und komplizierte Menüs das fizzelige Micromanagement nicht gerade leichter machen und alle 2 Sekunden Fanfaren oder Hufgetrappel ertönt. Aber direkt danach kommt Halo. Meine Abneigung gegen Bungies heiligen Gral kommt vor allem daher, dass es trotz seiner eklatanten Mängel so unglaublich gehypt wird. Natürlich gibt es ne Menge Games die sich qualitätsmäßig auf der gleichen Ebene bewegen, aber keines davon ist beim Aufenthalt im Internet dermaßen aufdringlich. Seien wir doch mal ehrlich: Halos Gameplay sieht so aus: Stürm’ in den Raum, feure aus allen Rohren, wenn dein Schild zuneige geht, zieh’ dich zurück bis es wieder aufgeladen ist, rinse, repeat. Aber pass dabei bloß auf, dass du dich nicht verläufst, denn trotz Copypaste-Leveldesign mit Braun-Braun Kontrasten gibt es leider nicht das von Rennspielen beliebte und bewährte “WRONG WAY”. Stattdessen merkt man halt irgendwann dass man hier doch irgendwie schonmal war. Also andersrum, Trial and Error bis zum nächsten Level. Quantität statt Qualität im Leveldesign, bei insgesamt 2 oder 3 brauchbaren Waffen. Selbst Leute die sich das noch eingestehen wollen, fahren als nächstes Argument die Story auf. Greifen dabei auf Marathon zurück, Ilovebees und die Romane. Ich geb ja zu, die Geschichte mit der Ringwelt ist ganz cool und so, leider kommt davon in den Spielen nicht viel rüber. Am Rande bekommt man eine ungefähre Ahnung, was auf Halo vor sich geht, aber die Zusammenhänge bleiben meist im Dunkeln.
Ich fahre in Diskussionen immer wieder Unreal auf und muss feststellen, das keiner derer, die Halo so vehement verteidigen, je Unreal gespielt hat. Für mich ist das Gespräch dann meist beendet. Wie soll man diskutieren, wenn die persönlichen Hintergründe so verschieden sind? Wer Unreal kennt kann Halo nicht mögen. Wer Unreal liebt erst recht nicht.
Und ich liebe Unreal.
Digital Illusions haben 1998 in vielen Kategorien einen Standard vorgelegt, an dem gemessen, alle nachfolgenden Egoshooter bisher klar den kürzeren gezogen haben, wenn nicht in den Einzeldisziplinen, dann in der Kombination all dieser Faktoren die Unreal so gut gemacht haben.
Das erste Level versetzt die Hauptfigur in die gleiche Situtation wie den Spieler und macht damit richtig was eigentlich offensichtlich sein sollte: Immersion lässt sich nur schwer erzeugen, wenn ich mich mit meinem eigenen alter Ego im Spiel nicht identifizieren kann, weil der Unterschied zwischen dem was ich weis, und dem was er weis zu groß ist. Anders bei Unreal: ohne einen Schimmer, was passiert ist, versuchen beide, dem anscheinend abgestürzten Gefangenenschiff Vortex Rikers zu entfliehen auf dem wir offensichtlich unterwegs waren. Wir kommen in unserer Zelle zu uns und stolpern hastig über Wege die gepflastert sind mit Leichen und Kampfspuren. Endlich aus dem Schiff befreit, gilt es, herauszufinden, wo wir überhaupt gelandet sind. Ca. Eine Stunde später sind wir schlauer: Die Vortex Rikers ist abgestürzt auf Na Pali, einem Planeten, dessen Einwohner, die von den Skaarj versklavten Nali, uns plötzlich als ihren Messias begrüßen. Von dem ersten Augenblick an indem wir aus dem Luftschacht durch den wir geflohen sind ans freie Krabbeln, wirkt Na Pali unheimlich lebendig und für den Moment vergessen wir unser Schicksal.
Im gesamten Spielverlauf dreht sich Unreal niemals um uns, im Zentrum steht stets Na Pali seine Einwohner, die Besatzer und der Konflikt zwischen beiden in den wir unfreiwillig hineingeraten sind. Ohne Konflikt keine Story, das wussten schon die alten Griechen, leider scheint dieses Wissen selten in Ego-Shooter einzufließen. Wird doch mal der Versuch gemacht (Jaja, ich kenne das Carmack Zitat, bloß ist Carmack nicht gerade als Designer berühmt geworden), versandet er meist halbherzig, die Geschichte ist entweder zu platt (Quake), zu verworren (Half-Life 2), uninteressant (Far Cry) oder kommt einfach nicht rüber (Halo). In Unreal wird die Story, die Welt und Ihre Bewohner dem Spieler nähergebracht durch überall verstreute Nachrichten die mittels Universaltranslator gelesen werden können. Das gleiche Konzept hat schon im 1994 erschienenen System Shock, 1999 in System Shock 2, nochmals in Deus Ex (2000) und in wohl jedem verdammten Rollenspiel das je das Licht der Welt erblickt hat, sehr gut funktioniert. Und gerade das ist der Punkt: Es kommt in Spielen eigentlich nicht so sehr darauf an, was vermittelt wird sondern wie das geschieht und da sind ins Spiel eingestreute Nachrichten wesentlich besser geeignet als Zwischensequenzen die parallel dazu arbeiten und mit dem eigentlichen Gameplay nichts zu tun haben.
Unterstützt bzw. ergänzt wird die schriftliche Darstellung der Welt in den Logbucheinträgen gefallener Besatzungsmitglieder und den alten Inschriften der Nali durch die Gestaltung der Levels, die uns immer andere Teile von Na Pali vor Augen führt: zu Beginn die heißen Rrajigar Mines in denen die Nali schuften, anschließend einen ihrer riesigen Tempel, später Dörfer und ganze Städte, aber auch Stationen der Skaarj, ein anderes, ebenfalls abgestürztes Alien-Raumschiff, die gigantisch hohe Festung Sunspire, das Forschungsschiff ISV-Kran usw.
Das Design der Levels ist abwechslungsreich und bunt. Das Setting gestattet gegenüber Spielen wie Half-Life, die größtenteils vor einem mehr oder weniger realistischen Hintergrund spielen, natürlich viel mehr gestalterische Freiheiten. So können Stimmungen auch mit Farbspielen erreicht werden, die sonst vielleicht eher befremdlich wirken würden, aber ein ziemlich effektvolles Stilmittel sind.
Gutes Leveldesign besteht jedoch immer aus zwei Komponenten: In Unreal harmoniert die architektonische Form mit der spielmechanischen Funktion extrem gut. Kein Level ist strikt linear, überall gilt es, sich nicht einfach durchzuballern, sondern in den meist riesigen Arealen verschiedene Puzzles zu lösen. Dabei gibt es in der Regel wesentlich mehr als nur einen Weg um von A nach B zu gelangen, sehr selten wird auf Tricks zurückgegriffen die woanders zum Standardrepertoire gehören, wie die “zufällig” eingestürzten Pfade die ein verzweigtes Labyrinth in einen schnurgeraden Kurs verwandeln oder von 20 verschlossenen Türen gesäumte Gänge.
Existieren doch mal lineare Passagen, dienen sie in Unreal dazu, dem Spiel stellenweise die Kontrolle über den Ablauf zurückzugeben und den Spieler in die Richtung bestimmter Ereignisse oder Sequenzen zu dirigieren. So wird ein ständiger Wechsel von entspannten Erkundungspassagen, normalem Geplänkel mit freilaufenden Gegnern und hervorragend inszenierten Showdowns mit Bossen gewährleistet, der die Spannungskurve abwechslungsreicher gestaltet als das ständig gleiche Niveau in anderen Spielen. Das prominenteste Beispiel für eine solche Szene ist die erste bzw. zweite Begegnung mit den Skaarj. Auf der Flucht von der Vortex Rikers steht ihr plötzlich vor einer Tür, die nur einen Spalt weit offen steht und sich nicht bewegen lässt. Plötzlich ertönen dahinter Kampfgeräusche. Schüsse werden abgefeuert, markerschütterndes Geschrei ertönt durch die Boxen und Lichtblitze zucken durch den Spalt, durch den sonst nichts erkennbar ist. Dann öffnet sich die Tür und man sieht gerade noch wie ein Skaarj um die Ecke verschwindet. Die nächste Begegnung mit einem seiner Kollegen läuft weniger glimpflich ab. Kurz bevor ihr die erwähnten Minen betretet, geratet ihr in einen Hinterhalt: Auf dem Weg durch einen schmalen Gang, hindern euch plötzlich vorn und hinten dicke Riegel am weiterkommen. Die Musik verstummt. Nacheinander gehen die Lichter aus und die Dunkelheit kommt langsam auf euch zu: klack, klack, klack, klack. Als es völlig finster ist, versucht ihr euch zu orientieren, fummelt in eurem Inventar herum und sucht die Fackeln heraus als sich plötzlich eine Tür öffnet und der Skaarj auf euch losstürmt. Das einzige Licht das ihr habt um euch zu orientieren ist das Mündungsfeuer eurer Waffen. Ein schneller Rythmus treibt euer Adrenalin noch höher, erst als der Skaarj am Boden liegt, realisiert ihr, was gerade eigentlich passiert ist..
Wie in einem guten Film ist diese Stelle auch dann noch spannend wenn man sie bereits einige Male gespielt hat. Das verdankt Unreal zum einen der Hintergrund-Musik: Statt auf FM-Synthese, Midis oder CD-Tracks setzt das Spiel auf MOD-Files. In hektischen Sequenzen kann deswegen die Musik plötzlich nahtlos wechseln und die Action passend untermalen. Ausserhalb solcher Situationen wird durch Umgebungsgeräusche und stimmungsvolle Elektrobeats das Leveldesign perfekt ergänzt. Komponiert und eingespielt wurde der Soundtrack von Alexander Brandon und Michiel van den Bos, beide wohl eher bekannt durch die geniale Musik in Deus Ex sowie Andrew Saga (Crusader-Serie).
Der andere Punkt ist das Gegnerverhalten. Hier haben Digital Illusions nicht gekleckert, sondern geklotzt. Damals war Unreal der erste Ego-Shooter mit richtiger KI. Dazu zogen sich die Entwickler Steve Polge ins Boot, Autor des legendäre Reaperbots für Quakeworld und inzwischen Leiter der Entwicklung von UT 2007. Das Verhalten das vor allem die intelligenteren Widersacher an den Tag gelegt haben war damals unglaublich und ist bis heute kaum übertroffen. Die Gegner waren im Vergleich zum damaligen Platzhirsch Quake 2 spärlich gesäht, doch jede Begegnung mit einem Skaarj wurde zu einem richtigen 1on1. Verstecken half nicht, wegrennen auch nicht, genausowenig wie Hit-And-Run Attacken. Was zählte war der Skill an der Waffe. Während die Gegner in Quake sich mit hin- und herlaufen und schiessen zufrieden gaben, rollten die Skaarj unter Raketen weg, machten Hechtsprünge zur Seite, benutzten Aufzüge um uns von hinten zu überraschen oder stellten sich tot.
Zeigt ihr Schwäche, scheuen die Skaarj auch keinen Nahkampf
Waren die genannten Einzelaspekte des Spiels, die dichte Atmosphäre, eine lebendige Welt, eine gute Erzählung, prächtiges Leveldesign und Top-Gameplay schon genial, ist ihre Kombination in Unreal eine echte Meisterleistung. Gerade deshalb ist es echt traurig, wenn mal wieder jemand daherkommt und Halo in den Himmel lobt. Im Falle der Teenies die erst Ende der Achtziger das Licht der Welt erblickt und Unreal deshalb vielleicht verpasst haben, mag das noch nachvollziehbar sein, aber wenn sogenannte Spielejournalisten jenseits der dreißig rund um den Globus vergessen, was sie keine drei Jahre vorher als “The future of gaming” (PC GAMER), “Spielerisch Spitze” und “Ein Action-Meilenstein” (beide Gamestar 7/98) bezeichnet haben und stattdessen das new kid on the block mit den genau den gleichen Phrasen beschreiben, ohne einen Vergleich zu ziehen, ist das ein verdammtes Armutszeugnis für die schreibende Zunft. Aber das ist ein eigenes Thema für sich.