Review: Shadow of the Colossus
13 Nov 2005Ich weiss nicht was ich von
Shadow of the Colossus halten soll. Fumito Uedas Prequel zu seinem hochgelobten Klassiker Ico widersetzt sich auf eine merkwürdige Art und Weise jedem herkömmlichen Betrachtungsansatz. Eine Beschreibung mittels gewohnter Kategorien war schon bei Ico nicht einfach, einem Spiel das sich durch Ideen definierte, die es deutlich von anderen Games abhoben und selbst mit einem Vergleich zum Vorgänger kommt man bei Shadow of the Colossus nicht weit, auch wenn das grundlegende Konzept hinter beiden Titeln das gleiche ist: Das Spiel als Erlebnis, als emotionale Erfahrung, ein Spiel das zu allererst für sich selbst steht und dabei dem Medium neue Ideen einhaucht. Die Art und Weise wie Ueda bei Shadow of the Colossus vorgeht, unterscheidet sich dabei deutlich von Ico.
Beide Titel sind jeweils hochkonzentriert auf das Wesentliche, kaum ein überflüssiges Element lenkt von dem eigentlichen Kern des Spiels ab. In Shadow of the Colossus geht das sogar so weit, dass zwischen Vor- und Abspann nicht einmal Zwischensequenzen das Spiel unterbrechen. Was die Aufgabe des Spielers ist sollte bekannt sein: In dem namenlosen Land in dem wir uns befinden müssen wir 16 Kolossi, riesige steinerne Wesen mystischer Herkunft bezwingen um ein geheimnisvolles Mädchen vor dem Tod zu retten. Das Bekämpfen der Steingiganten besteht vor allem aus zwei Teilen, denn bevor wir einen von Ihnen konfrontieren können, müssen wir ihn erstmal finden, was in der riesigen Welt oft recht lange dauert.
Diese zwei Elemente, das Erforschen des unbekannten Landes und das Vernichten der Kolossi hat Ueda zu Aufgaben, zu Erfahrungen epischer Dichte gestaltet. Die wirklich beachtlichen Distanzen legt die namenlose Hauptfigur, der Wanderer, mit seinem treuen Pferd Agro zurück. Einziges Hilfsmittel zur Orientierung ist dabei eine grobe Karte die zu Beginn des Spiels von Wolken verdeckt ist und erst nach und nach die Bereiche freilegt, in denen die Kolossi bereits besiegt wurden, sowie eine Art Kompass-Funktion des Schwertes, welches, ins Sonnenlicht gehalten, einen Schimmer abgibt der uns die Richtung des nächsten Kolossus deutet. Somit erfordert das Auffinden der Kolossi meist recht langes Absuchen riesiger Felsformationen oder Wälder nach möglichen Durchgängen. Dabei besticht die Landschaft immer wieder durch ihre stille Schönheit; Höhlen, Hügel, Schluchten und weite Täler laden dazu ein, sich in den fast grenzenlosen Weiten zu verlieren, so dass es vom Tempel in der Mitte der Karte bis zum nächsten Koloss schonmal eine Stunde dauern kann ohne dass man hinterher sagen könnte was man eigentlich die ganze Zeit gemacht hat.
Ist der Koloss gefunden leitet eine kurze Cutscene den Kampf ein. Diese Kämpfe bilden wie zu erwarten den Mittelpunkt des Spiels. Ich habe vorher den Wanderer als Hauptfigur bezeichnet, obwohl bereits der erste Kampf klar macht, dass die Kolossi die wahren Stars hier sind. Waren Landschaft und Architektur bis hierhin bereits wunderschön, die sind Kolossi einfach atemberaubend. Jeder der 16 ist größer und gewaltiger als sein Vorgänger, alle wurden sie mit Hingabe modelliert. Die Kämpfe beziehen in der Regel die Umgebung, teilweise richtige Arenen, mit ein, wodurch jeder Koloss eine andere Taktik erfordert. Stets gilt es zunächst, den Koloss überhaupt zu erklimmen und seine Schwachpunkte freizulegen, was — gegen Ende mehr und mehr — die eigentliche Herausforderung darstellt.
So simpel und übersichtlich diese Zusammenfassung wirkt, so wenig leistet sie doch um Shadow of the Colossus zu erklären. Womit haben wir es hier eigentlich zu tun? Der Haken ist: Als Spiel bietet Shadow of the Colossus nämlich nicht viel. Nach jedem Kampf stirbt der Wanderer, um anschließend im Tempel wieder aufzuwachen und sich sofort auf zum nächsten Koloss zu machen. Die Suche und der anschließende Kampf sind so schlicht gestaltet wie es nur geht ohne dabei ins Triviale abzudriften: Ist der Koloss gefunden, weicht man ihm so lange aus, bis ein Weg entdeckt ist auf ihn zu gelangen. Einmal oben, krallt man sich fest, sticht auf seine Schwachpunkte ein und versucht, nicht abgeworfen zu werden, alles in der Regel keine große Herausforderung. Anschließend geht das ganze von vorne los, 16 mal bis zum Abspann. Kaum ein anderes Spiel käme mit derart wenig Fleich auf den Rippen davon, vor allem mit den vielen Macken die das Gameplay streckenweise ziemlich frustrierend gestalten. Der eigentliche Reiz von Shadow of the Colossus liegt allerdings, ähnlich wie bei Ico, woanders, nämlich bei der bereits erwähnten emotionalen Einbeziehung, dem Spiel nicht als Spiel sondern als Erlebnis.
Die Reduktion der Spiel-Elemente lenkt das Augenmerk auf die Erlebnis-Elemente. Freunden von Ico dürfte besonders der sehr eigene Grafikstil von Uedas Team in Erinnerung geblieben sein und er ist es auch, der die ganze Welt von Shadow of the Colossus mit seinem magischen Schleier überzieht und alles darin in Bilder aus einem Traum verwandelt. Statt den Weg zu den Kolossi mit schnöden Kisten- und Schalterrätseln in die Länge zu ziehen, legt das Ueda uns keinerlei Hindernisse in den Weg, sondern setzt einzig auf die Größe der Karte um überall unseren Entdeckertrieb zu wecken. Wie wichtig ihm das war, verdeutlichen die kleinen Schreine die über die Welt verteilt als Speicherpunkte dienen: schaffen wir es tatsächlich einmal von einem der Kolossi getötet zu werden, startet der Kampf sofort neu, besiegen wir den Kolossus speichert das Spiel automatisch. Für die Erfüllung unserer eigentlichen Aufgabe sind die Speicherpunkte also vollkommen überflüssig. Verlieren wir uns allerdings auf der Karte, immer auf dem Weg zu interessanten Flecken am Horizont kommen die Schreine sehr gelegen, und zwar nicht nur zum Speichern: Jeder Schrein kann erklommen werden, eine einfache Aufgabe die allerdings ein wenig Zeit kostet. Gelangt man an der Spitze an, macht die Kamera einen Schwenk zurück und belohnt die Mühe mit einem grandiosen Blick auf die Landschaft.
Die Landschaft. Ihre traumartige Erscheinung, kommt neben den surrealen Lichteffekten auch durch ihre trostlose Kargheit zustande. Die einzigen Tiere denen wir begegnen sind ein paar Eidechsen und Vögel die scheu das Weite suchen, sobald wir uns nähern. Ob auf sonnendurchfluteter Steppe oder im Schatten eines verfallenen, monumentalen Bauwerks, stets liegt Stille und eine bedrückende Einsamkeit über allem. Einziger Begleiter des Wanderers ist Agro, sein Pferd. Wieviel Aufmerksamkeit dem treuen Reittier von Team Ico geschenkt wurde ist beachtlich. Agro ist nicht einfach Fortbewegungsmittel, sondern besitzt seinen ganz eigenen Kopf. Wenn wir absteigen um Eidechsen zu jagen oder auf einen Schrein zu klettern gallopiert er schon mal alleine los und tobt sich im Gelände aus, kommt wieder zurück, grast, schlendert umher und folgt uns gemächlich. Vor allem beim Reiten merkt man, dass das Pferd selbst ganz gut weiss wo es ungefähr langgeht. Versucht man es über eine felsige Brücke zu lenken bockt es, stellt sich quer und eckt an. Hält man hingegen einfach nur X gedrückt, nimmt Agro jede Kurve von selbst, lediglich mit Bäumen scheint er seine Probleme zu haben. Das Wenden und Beschleunigen funktioniert ähnlich, man steuert nicht Agro direkt, sondern benutzt lediglich Zügel und Sporen um ihm mitzuteilen, in welche Richtung es gehen soll.
Bis zum Ende des Spiels bleibt die Story ziemlich im Dunkeln. Die Einleitung motiviert die Reise des Wanderers zu dem Tempel in der Mitte des vergessenen Landes, danach gibt es bis auf zwei kleine Ausnahmen keinerlei Fortführung der Geschichte. Wir wissen nicht, was genau es mit unserem alter Ego auf sich hat, das wenige was wir wissen tritt bis zum Abspann in den Hintergrund. Der Wanderer wird dadurch reduziert auf die Rolle eines Avatars, wird zu einem Repräsentanten des Spielers in der fremden Welt. Er ist das Werkzeug mit dem wir die die Kolossi bezwingen.
Diesen Kämpfen kommt wie bereits gesagt zentrale Bedeutung zu. Jeder Koloss bildet einen neuen Höhepunkt des Spiels, ist Kandidat für den Best-Boss-Fight-Ever, obwohl ihnen die Reduktion auf die bloße Funktion eines Bosses nicht gerecht wird. Die Kolossi wirken niemals wirklich böse, sie sind einfach da, bewachen ihr Geheimnis und warten. Der Aggressor ist eindeutig der Wanderer, beziehungsweise wir als Spieler. Wie der Wanderer wissen wir dabei nicht, warum wir die Kolossi eigentlich bekämpfen. Es ist einfach was man uns aufgetragen hat.
Deshalb machen auch Kämpfe gegen die Kolossi nicht unbedingt Spaß. Es sind beeindruckende, dramatisch Ereignisse, großartig inszeniert und von hervorragender Musik untermalt, aber Vergnügen bereiten die meisten von ihnen nicht. Trotz ihrer enormen Größe sind die Kolossi mit wenigen Ausnahmen harmlos, kaum einer kann dem Wanderer wirklich etwas anhaben; sind wir im Kampf einmal auf ihren Rücken gelangt, versuchen sie umso verzweifelter uns abzuschütteln. Die Aussichtslosigkeit ihres Aufbäumens, jedes langsame Zusammenstürzen nach dem letzten tödlichen Stich ruft mehr und mehr Mitleid für diese majestätischen Kreaturen hervor, während sie uns mit traurigen Augen schweigend anstarren. Die Spuren dieser aufreibenden Auseinandersetzungen bekommt nicht nur der Spieler zu spüren, auch der Wanderer verändert sich gegen Ende zusehends. Seine Kleidung wird rissig, seine Haut immer dunkler (wer das Spiel schon durch hat kennt natürlich den wahren Grund hierfür).
Ueda hat sein Ziel also auf jeden Fall erreicht hat. Shadow of the Colossus ist ein beeindruckendes Erlebnis, allerdings weit weniger bedeutungsvoll als Ico seinerzeit. Das liegt zum einen daran das Ico, nunja, halt früher da war, zum anderen aber an einigen Ungereimtheiten die mehr oder weniger ärgerlich sind. Als ich sagte dass Shadow of the Colossus nichts enthält was den Spieler ablenkt war das nur die halbe Wahrheit. Es gibt, vor allem nachdem man alle 16 Kolossi besiegt hat, eine Menge Videospiel-typische Gimmicks, einen Time-Attack Modus mit verschiedenen Belohnungen, die Möglichkeit, durch ziemlich sinnloses Sammeln von Gegenständen Lebensenergie und Ausdauer zu erhöhen und ähnlichen Schnickschnack. Zum Gück ist all dies recht gut versteckt, so dass man das Spiel durchaus durchspielen kann, ohne die Existenz dieser Extras überhaupt zu bemerken. Technisch schwächelt die Präsentation stark, zackige Kanten, verwaschene Texturen, Framerate-Probleme und eine störrische Kamera trüben die hervorragend designte Optik ein wenig, ab und zu kommt es sogar zu Hängern, bei denen das Spiel einfriert, die Kamera und das Menü sich witzigerweise jedoch weiterhin bedienen lassen.
Der Eindruck das Shadow of the Colossus bei mir hinterlassen hat ist zwiespältig. Zum einen war das Spiel angenehm anders und erfrischend kurz, zum anderen blieb nach Betrachten des Abspanns ein merkwürdig leeres Gefühl zurück, dass hier einiges an Potential verschenkt wurde. Nichtsdestotrotz eine Empfehlung für jeden, der sich nach etwas Abwechslung sehnt.