Ninja Gaiden Black
07 Dec 2005
Vor anderthalb Jahren erschien Ninja Gaiden. Nach dreijähriger Entwicklungszeit und zahlreichen Hochglanz-Screenshots, gab es nun ein Action-Adventure mehr, dass den Fokus eindeutig auf die Action legt. Ein Spielkonzept, dass sich spätestens seit Devil May Cry äußerster Beliebtheit erfreut. Ninja Gaiden war seinerzeit besonders für seinen enormen Schwierigkeitsgrad und die prächtige Grafik bekannt. Wer sich auf das Spiel einlässt kann allerdings noch mehr entdecken. Eine auffällige B-Film Ästhetik zum Beispiel oder eine Orientierung an älteren Videospielen wie es sie heutzutage kaum noch gibt. Jetzt ist Ninja Gaiden Black erschienen. Eine Art Add-On, dass das Spiel, neben kleineren Modifikationen, um zwei Schwierigkeitsgrade und einen Missions-Modus erweitert. Ninja Gaiden hat damit einen Grad der Vollendung erreicht, der heutzutage bei den meisten Spielen nicht zu beobachten ist.
Ein Konzept
Das grundlegende Konzept von Ninja Gaiden ist denkbar einfach. Alle Gegner müssen getötet werden. Alle Figuren außer dem Hauptcharakter sind Gegner.
Das war bereits im NES Ninja Gaiden so. Diesem Grundgedanken werden die üblichen modernen Spielereien hinzugefügt. Es gibt eine Handvoll unterschiedlicher Waffen. Es gibt Smart-Bomben (hier Ninpo Magie). Es gibt Geld, mit dem man Heiltränke kaufen und Waffen verbessern kann. Das war auf dem NES noch nicht so und mag das Ergebnis fruchtbarer Reflexionen über Spieldesign oder ein Zugeständnis an heutige Standards sein.1
Weiter kann man reichlich bunte Kugeln sammeln wie in Onimusha, diese rasen auf einen zu, wie in Devil May Cry. Die Story wird in Renderfilmchen erzählt, die meist am Ende eines Levels gezeigt werden, wie in jedem anderen x-beliebigem Spiel. Ninja Gaiden ist also keine Ausgeburt an Innovation und meilenweit davon entfernt irgendwelche neuen Ansätze für das Medium Videospiel zu liefern. Eigentlich ist Ninja Gaiden sogar erzkonservativ. Das zugrundeliegende Konzept ist in vielen Augen sicherlich der Sargnagel der Möglichkeiten guter Spiele und die Ästhetik irgendwann Ende der Achtziger mit Freuden verabschiedet worden.
Trotz alldem ist Ninja Gaiden für mich der Inbegriff eines guten Videospiels und eines der besten Games, die für die scheidende Konsolengeneration zu bekommen sind. Alle Elemente des Spiels sind vollständig gut durchdacht und ausgeführt. So wie es sich präsentiert, ist Ninja Gaiden ein absolut schlüssiges Ganzes und ich werde mein bestes geben, zu beschreiben warum.
Eine Story
Als das Ur-Ninja Gaiden erschien, steckten die Videospiele noch in den Kinderschuhen. Man könnte sagen sie waren unschuldig. Zwar waren sie auch damals nicht unabhängig von einer kommerziellen Orientierung, doch der finanzielle Aufwand einer Produktion war recht gering und der Druck kommerziell erfolgreich zu sein somit kleiner. Selbst Final Fantasy hatte eine Story, die sich in drei Sätzen zusammenfassen lässt und Absurdität war ein integraler Bestandteil der meisten Spiele. Die Titel dieser Zeit waren auf eine liebevolle Art und Weise verspielt. Es gab kaum grafische Mittel die den Spieler von der Tatsache ablenkten, dass im Kern der Spiele ein simpler Geschicklichkeitstest vorliegt. Durch die Beschränkung der meisten Spiele auf zwei Knöpfe wurde dies noch unterstrichen. Die Überväter dieser Zeit sind Super Mario Bros. und Tetris, beides Spiele, die aus einem einfachen Konzept viel machen. Aus heutiger Sicht liegt die Faszination dieser beiden Titel in der Beschränkung auf das Wesentliche und der konsequenten Ausführung.
Steuerung und Spielmechanik begreift jeder innerhalb von zwei Minuten. Mario kann rennen und springen, er stirbt, wenn er in einen Gegner läuft oder in einen Abgrund fällt. Mehr brauchte das Spiel nicht, um eine Generation an den Bildschirm zu fesseln und die Renaissance der Videospiele einzuleiten.
Tetris ist noch weiter reduziert. Der Spieler steuert keinen Avatar, sondern hat direkten Einfluss auf die Spielwelt. Alles was er tut, ist Blöcke zu drehen und zu bewegen, die vom Himmel stürzen. In seiner Reduktion, vor allem der grafischen, liegt der Reiz. Es gibt kein Element, keine Bildschirmanzeige, die keine direkte Funktion im Spielgeschehen hat.
Diese Spiele sind, für mich, so etwas wie der heilige Gral der Videospiele. Sie verweisen auf nichts als sich selber und sind somit absolut selbstgenügsam. Es existiert keinen Überbau der vom ursprünglichen Konzept ablenken würde und doch ist in Super Mario Bros. auch bereits ein Element enthalten, das die weiteren Entwicklung des Videospiels immer mehr an Bedeutung gewonnen hat. Das Spiel hat eine Story.
Diese ist zwar noch absolut holzschnittartig, dennoch ist Super Mario Bros. in diesem Punkt meilenweit von Tetris entfernt. Anders als bei Tetris meinten die Entwickler, Mario als Person, als Charakter einer fiktiven Welt, bräuchte eine Motivation die nicht im Spiel selbst liegt. Hier ist ein wichtiger Ausgangspunkt, für eine Tatsache die eine Zeit lang fast schon ein Merkmal von Videospielen ist. Die Geschichte eines Spiels und das Spiel selbst haben eigentlich nichts miteinander zu tun. Sie dient lediglich der Konstruktion einer Motivation.
Mit der komplexeren Grafik kamen realistischere Spielwelten und mit diesen kompliziertere Spiele. Eine realistische Spielwelt erfordert eben eine komplexere Geschichte und ein gewisses Maß an Plausibilität. Das Pilzkönigreich hat ausgedient, weil es diesem Anspruch nicht gerecht werden kann. Kern vieler Titel ist heute nicht mehr eine Spielmechanik, sondern eine Geschichte. Die Geschichte ist nicht mehr reine Motivation der Spielfigur, sondern die Spielmechanik ist, zum Teil, Träger einer Geschichte.
Ninja Gaiden ist in diesem Punkt modern und altmodisch zugleich. Zum einen ist jeder Ort den man besucht auf einer Karte verzeichnet und ab Level 4 lassen sich alle Orte jederzeit wieder aufsuchen. Eine zusammenhängende Welt wird suggeriert. Die Geschichte, die in dieser Welt spielt, hat Wendepunkte und ein (mehr oder weniger) überraschendes Ende. Dennoch sind all diese Elemente weit davon entfernt plausibel zu sein. Eher im Gegenteil. Allein die Hintergrundgeschichte des Vigurischen Reiches, das als übermächtiger Gegner fungiert, ist für sich schon so absurd, dass es kaum zu fassen ist. An den Spieler herangetragen wird diese Geschichte in einigen „Büchern“ (vom Umfang her ca. eine Seite pro Buch) die man in den Leves findet und kurzen Texten während der Ladezeiten. Diese Texte aber lassen keinen plausiblen Hintergrund entstehen. Es sind Fragmente, die von Dämonen und Drachen erzählen und mit Mythologischen Anspielungen überfrachtet sind. Sie klingen cool, sind aber nicht in der Lage eine schlüssige Geschichte zu erzählen.
Der Zweck dieser Elemente ist lediglich der Aufbau innerer Bilder, die dem Spieler eine Atmosphäre vermitteln sollen. Sie sind ganz bewusst unzusammenhängend und absurd. Der „heilige Vigurische Imperator“ ist beispielsweise ein riesiger Schädelhaufen auf vier Beinen.
Gerechter Herrscher? Der Heilige Vigurische Imperator
Fast alle Videospiele sind im Verhältnis der Geschichte zum Spiel nicht kohärent. Was Ninja Gaiden so gut macht ist, dass dieser Umstand absolut bewusst genutzt wird um eine Art von Immersion zu erzeugen. Die Aufmerksamkeit des Spielers wird konsequent auf das Spiel gelenkt nicht auf den Überbau.
Ein Charakter
Die „Story“ hat hier einen ganz anderen Zweck und das ist auch der Reiz Ninja Gaidens: Alle Elemente der Geschichte und der Zwischensequenzen dienen der Überstilisierung des Spielercharakters und seiner Gegner. Programmatisch dafür ist der erste Level und die zugrundeliegende Motivation, die in Ninja Gaiden Black noch einmal deutlich hervorgehoben wird. Im Original stand der Ryu Hayabusa zu Beginn des Spiels an einem Wasserfall. In Ninja Gaiden Black, springt Ryu diesen Wasserfall herunter, schlitzt im Fallen seinen ersten Gegner wortlos von oben nach unten auf und landet elegant neben der blutüberströmten Leiche. Was für ein Anfang!
Bevor es auch nur den Hauch einer Story gibt schlüpft der Spieler also in die Haut dieses Typen, der gerade eben den ersten Feind ermordet hat ohne mit der Wimper zu zucken und ohne das dieser auch nur die Chance einer Gegenwehr gehabt hätte. Im folgenden ersten Level werden solche namenlosen Gegner im Dutzend gemetzelt. Es stellt sich allerdings heraus, dass diese Feinde eher Freunde waren: Sie gehören zur Leibgarde eines befreundeten Dojo-Meisters Murai. Nicht das mich jemand falsch versteht, dies wird in keiner Form innerhalb des Spiels thematisiert. Im Gegenteil, die Absurdität dieser Situation wird noch dadurch unterstrichen, dass es für Murai völlig normal zu sein scheint, dass Ryu Hyabusa auf dem Weg zu ihm ca. 30 seiner Schüler tötet. Ab diesem Punkt ist klar, dass das Spiel und seine Geschichte eher in Richtung Super Mario Bros. tendiert. Die Story hat mit dem Spiel lediglich die Charaktere gemein.
Wie gesagt glaube ich, dass der Zweck der Geschichte in Ninja Gaiden die Überstilisierung der Charaktere ist. Am Ende des zweiten Levels stirbt Ryu Hayabusa. Er wird von Doku, einem gigantischen Samurai in einer schwarzen Rüstung regelrecht aufgeschlitzt. Das nächste was man sieht, ist ein Shuriken der in ein Holster am Fuß gesteckt wird. Der Spieler weiß, dass dies die Hauptfigur sein muss, denn kein Spiel endet mit dem zweiten Level. Ist er tot, ist er lebendig? Man weiß es nicht. Mir gefällt die Idee, dass er nur noch für den Rachefeldzug lebt, den der Rest des Spieles erzählt. Der Spieler spielt somit eine Art Zombie-Ninja auf Rachefeldzug. Mit jeder neuen Zwischensequenz wird das Bild der unbesiegbaren, gewissenlosen Ein-Mann-Armee weiter unterstrichen.
Wobei der Trash-Faktor immens ist. Viele Zwischensequenzen bestehen auch aus reiner, hirnloser Action: Ryu Hayabusa flieht in einem Zug. Dieser stößt mit einem anderen Zug zusammen, und durch eine gigantische Explosion öffnet sich der Weg zum nächsten Level. Man sieht förmlich das Leuchten in den Augen Tonobu Itagakis als er sich diese Szene ausdachte.
Ein System
Durch diesen Hintergrund wird ein inneres Bild der Figur Ryu Hayabusa geschaffen, dem der Spieler gerecht werden will. Ryu Hayabusa kann nicht verlieren, schaut euch diesen Typen doch mal an. Erfüllungsgehilfe des Spielers ist ein Kampfsystem, dass in seiner Komplexität eher mit einem Beat’em’Up als mit einem Actionspiel zu vergleichen ist. Eher Street Fighter 3 als God of War. Block Stun, Canceling, Combo Generierung; Mechaniken die in Beat’em’Ups entwickelt wurden, adaptiert Ninja Gaiden mit einer Selbstverständlichkeit, die bei einer solchen Komplexität wirklich erstaunlich ist. Und doch lässt sich alles absolut instinktiv steuern.
Das ist auch notwendig. Denn die Gegner sind alles andere als Kanonenfutter. Selbst auf Easy sind sie niemals dumm und auch der schwächste Gegner stellt eine potentielle Bedrohung dar. Selbst der kleinste Ninja scheint einen Überlebenswillen zu haben. Auf den höheren Schwierigkeitsgraden wird das Spiel dann zu einer Herausforderung. Doch jede Niederlage spornt dazu an, sich noch mehr Mühe zu geben, all seine Möglichkeiten auszuschöpfen. Nur durch diesen Umstand kann das Spiel sich selbst genügen und eine wirkliche Handlung überflüssig machen.
Die Überstilisierung der Hauptfigur und der Schwierigkeitsgrad sorgen für eine Diskrepanz zwischen dem was sich der Spieler vorstellt und dem wozu er zunächst in der Lage ist, die überwunden werden will. Dank der exakten Steuerung ist dies auch tatsächlich möglich, wäre da nicht das omnipräsente Problem der Kamera. In einem Spiel, das derart hohe Anforderungen an die Reflexe des Spielers stellt, muss dieser auch immer eine optimale Übersicht haben. Dies ist jedoch in keiner Weise gewährleistet. Mal hängt sie in der Wand, mal folgt sie der Hauptfigur bei einem hohen Sprung, so dass der Spieler nicht wissen kann, was am Boden vor sich geht. Problematisch ist auch, dass die Bosse in Ninja Gaiden Black nun ab Hard immer von weiteren Monstern unterstützt werden, die Kamera aber immer noch auf den Boss zentriert ist. Ein kontrolliertes Spiel, wie es auf den hohen Schwierigkeitsgraden nötig ist, ist so nur mit sehr viel Training realisierbar. Genau hier ist auch das Problem von Ninja Gaiden. Das Spiel ist bis in den hintersten Winkel durchdacht und durchdesignt. Man hat den Eindruck, man könnte das Spiel ohne auch nur einmal getroffen zu werden durchspielen, wäre da nicht die Kamera.
Auch wenn diese in 90% der Fälle gut funktioniert, sind die 10% in denen sie keine Übersicht bietet ein harter Test für die Frustrationstoleranz des Spielers. Gerade weil der Rest des Spieles so perfekt ist, tritt die Kamera so negativ hervor. Ich glaube, dies ist der Grund warum es Heilränke gibt, denn innerhalb der Logik des Spiels wirken sie etwas deplaziert. Man hat nicht den Eindruck, dass Ryu Hayabusa Heilränke nötig hätte. Jedes mal, wenn ich einen verwende fühle ich mich, als hätte ich einen Cheat eingegeben. Das mag auch an meiner Knauserigkeit liegen (ich war einer von den Typen, die in Tomb Raider so sparsam mit Munition waren, dass ich bis zum letzen Level keine Waffe außer den Pistolen benutzt hatte), dennoch fühlt es sich einfach nicht richtig an einen Heiltrank zu benutzen.
Eine Mission
Das Herausragende an Ninja Gaiden Black und die deutlichste Verbesserung zum Original ist der Missionsmodus. Dieser bietet fünfzig Challenges, in denen entweder ein Endgegner oder eine bestimmte Anzahl an Gegnern getötet werden müssen. Am Anfang stehen einem Zehn Missionen zur Verfügung, für je fünf erfüllte Missionen werden fünf neue freigeschaltet.
In diesem Modus kommt das Spiel zu sich selbst und geht gleichzeitig an die Grenzen dessen was noch Freude bereitet. Denn mit Ausnahme der ersten paar Missionen sind die Challenges alle bockschwer und kaum beim ersten mal zu schaffen.
Aber hier ist das Spiel so rein wie kein Action-Spiel seit Contra. Es gibt keine Story. Nur Ryu Hayabusa, das Kampfsystem und die Gegner. Entweder du verbeißt dich darin oder du lässt es bleiben. Frei von jedem Ballast, ist Ninja Gaiden Black in diesem Modus wie Tetris, selbstgenügsam und einzigartig. Dieser Modus zeigt, dass Videospiele keine riesigen Innovationen brauchen um zu fesseln, sondern dass die vorhandenen Konzepte, wenn sie nur anständig umgesetzt werden, schon viel in sich tragen. Ninja Gaiden erzählt jedem der sich darauf einlässt, mit jedem mal eine andere Geschichte. Eine Geschichte, wie sie nur ein Videospiel erzählen kann. Es ist die Geschichte eines immerwährenden Kampfes in all seinen Einzelheiten. Diese Geschichte hat keine Aussage außer sich selbst und genau deswegen ist sie so gut.
Und aus irgendeinem Grund muss ich im Zusammenhang mit Ninja Gaiden immer an Super MarioBros. denken. Auf eine seltsame Art und Weise erinnert mich dieses Spiel, trotz seiner Hochglanzgrafik und seinen protzigen Rendersequenzen, trotz seiner Brutalität, der harten Männer und der vollbusigen Frauen an eine Zeit als Videospiele noch unschuldig waren. An ein Spiel, dass von einem Pilzkönigreich, einem Klempner, bösen Schildkröten und einer Prinzessin in einem Rosa Kleid handelt. Wenn es ein Spiel gibt, dass man in dieser Generation gespielt haben muss, ist das in meinen Augen Ninja Gaiden Black. Denn es besitzt die Verspieltheit eines NES Spieles und ist in der Ausführung modern wie kein Zweites.
1 Interessant in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass das rollenspielartige Verbessern bestimmter Eigenschaften zu NES Zeiten zwar sehr beliebt war, in Ninja Gaiden aber keine Verwendung fand, heutzutage, wo Aufleveln wieder en vouge ist, dann doch in das Spiel eingebaut wurde. [zurück]