Metal Gear Solid 3
07 Sep 2005
Ehrlich gesagt weiss ich nicht so recht, was ich zu Metal Gear Solid 3 schreiben soll. Meine Begeisterung für dieses Spiel die es mich in 3 Monaten 2 mal durchspielen lies (einmal die gezogene US-Version, wenig später die gekaufte deutsche), lässt sich schwer an irgendetwas festmachen oder beschreiben. Ich versuch’s trotzdem. Die
Metal Gear Solid Serie ist unzertrennlich ihrem Schöpfer Hideo Kojima verbunden. In ihr manifestieren sich die Perspektive mit der Kojima das Medium Videospiele betrachtet. In der Vergangenheit mit Erfolg ausgezeichnet, hat Kojima inzwischen völlige Freiheit bei Konami, seine Visionen umzusetzen und zu entfalten und so verwundert es nicht, dass er es als einer von ganz wenigen Designern wirklich versteht, die Grenzen dieses Mediums auszuloten, mit ihm und in ihm neue Wege zu beschreiten und zu erforschen was Videospiele sind und was sie können.
Das bisher wichtigste Experiment hierin war Metal Gear Solid 2, ein Spiel das von einer Menge Leuten nicht verstanden wird weil ihnen der Blick für Kojimas Ideen fehlt. Sie betrachten MGS2 so wie jedes andere Actionspiel und fühlen sich einfach nur vor den Kopf gestoßen, wenn das Anfangs harmlose Szenario sich gegen Ende in einen bizarren Zirkus verwandelt, in dem nichts ist wie es scheint. Kojimas erklärtes Ziel hingegen war es, Videospiele als Medium endlich voranzutreiben und eine Geschichte zu erzählen, die so nur in einem Videospiel erzählt werden kann.
In Metal Gear Solid 3 wird mit dem Spieler nicht ganz so hart umgegangen. Die Story ist immernoch abgedreht, enthält aber kaum noch die WTF-Momente aus dem MGS2 Endgame. Stattdessen offenbart sich hier Kojimas Hang zum Perfektionismus und seine Detailverliebtheit. Wer es in MGS2 mochte auf Vogelscheisse auszurutschen, nun, schmeiss mal einem schlafenden Krokodil eine Granate ins offene Maul…
Bemerkenswert ist auch, wie Metal Gear Solid 3 sich auf zwei völlig verschiedene Weisen durchspielen lässt. Wer nun schlicht keinen Sinn für Perfektion oder Details hat, kann das Metal Gear Solid 3 mit freiem Oberkörper in ein Actionspiel auf Rambo-Niveau verwandeln und mit der großen Auswahl an Waffen einfach alles niedermähen was sich bewegt.
Wer jedoch Geduld mitbringt und so vorgeht wie Kojima sich das eigentlich gedacht hatte, perfekt getarnt im Gras an seine Gegner heranschleicht, diese in den Schwitzkasten nimmt und ausfragt, ihnen anschließend Ihre Ausrüstung stiehlt und danach die Kehle durchschneidet und das alles ohnen einen Mucks, wird reich belohnt.
Unvergesslich und eine der intensivsten Spielerfahrungen die ich je hatte, ist der epische Bosskampf gegen The End. Auf drei riesigen Karten hieß es Scharfschütze gegen Scharfschütze. 2 Stunden lang im Gras liegen und auf das Funkeln seines Zielfernrohrs achten. Das Gelände mit Infrarotsichtgerät und Richtmikrofon nach Fußspuren, Atemgeräuschen und Herzklopfen absuchen. War dieser Kampf beim ersten Mal schon ungemein spannend wurde es beim zweiten Durchspielen richtig hart. Ich hatte mir zum Ziel gesetzt, The End sowohl Tarnung als auch Waffe abzunehmen. Für die Waffe musste ich “nur” seine Ausdauer-Leiste dezimieren, um allerdings an seine Tarnung zu kommen galt es, sich von hinten an ihn heranzuschleichen und ihn zu überfallen. Nachdem ich ihn nach einer halben Ewigkeit endlich gefunden hatte, wurde der Wald zu meinem Freund: Es begann zu regnen. The End, auf das Sonnenlicht angewiesen schlief ein, etwa 150 Meter von mir entfernt auf einem kleinen Hügel neben einem großen Findling. Jetzt galt es, mich anzuschleichen, die Spannung war unglaublich. Ich konte nicht laufen, dann hätte er mich bemerkt, also musste ich schleichen, doch der Regen konnte jederzeit aufhören. Zum Glück tat er dass nicht, es goss noch immer in Strömen als ich endlich den Findling erreicht hatte. Keine 2 Meter von mir entfernt lag The End im Gras, inzwischen zwar wieder wach, doch mit seiner Mosin Nagant die entgegengesetzte Richtung absuchend und trotz der kurzen Distanz kaum zu sehen. “Jetzt nur nichts falsch machen“, hämmerte ich mir ein, “vor allem nicht in der Aufregung die falschen Knöpfe in der falschen Reihenfolge loslassen, nicht zu schnell bewegen…“. In dieser Situation schlug mir das Herz bis zum Halse und ich wusste das dies genau der Moment war, auf den Kojima hingearbeitet hat: Ich war Snake, ich stand schweissnass keine 2 Meter hinter The End und gleich würde sich entscheiden, ob die letzte halbe Stunde vergebens war oder nicht.
Ein Druck auf Square, der Lauf meiner M37 schnellt hoch, zielt auf The End. “FREEZE!” Geschafft! Jetzt nur noch vor ihn treten und ein bißchen mit der Knarre fuchteln. Und tatsächlich, nach 2 Versuchen schwingt der alte Mann die Hüften und wirft mir seine Moss-Camo vor die Füße. Langsam schleiche ich wieder hinter ihn, wechsle schnell zur MK22 und raube ihm mit einem Kopfschuss den letzten Rest Ausdauer. Unendlich erleichtert mache ich mich auf den Weg durch den Krasnogorje Tunnel und entspanne mich bei einer hervorragenden Vocal-Version des Titel-Tracks, während ich fünf Minuten lang eine schier endlose Leiter Richtung Bergkuppe emporklettere.
Das war nur der Höhepunkt, doch Metal Gear Solid 3 besteht aus dutzenden solch raffinierter, bis ins letzte Detail durchdachter Momente. Die phantastische Story wird in extrem gut gemachten Zwischensequenzen erzählt, jeder Abschnitt ist voll von Dingen die es zu entdecken gilt, die von vielen leider als langweilig verschrienen Codec-Sequenzen sind gut geschrieben und meistens auch noch gespickt mit Kojimas Humor. Selbst nach zweimaligem Durchspielen, habe ich noch nicht alles gesehen was MGS3 zu bieten hat.
Wieder hat Kojima die Grenzen der Möglichkeiten von Videospielen (Hideospielen?) erweitert: Ein Spiel kann nahtlos nebeneinander oberflächliches Vergnügen und unglaubliche Tiefe bieten, ausserdem ist die Immersion bei richtiger Spielweise so tief wie in keinem Spiel zuvor.