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Review: Kingdom Hearts 2

Kingdom Hearts 2

Kingdom Hearts 2 ist das niederträchtigste Videospiel das mir je begegnet ist. Niemals war mir der Platz vor dem Fernseher derart unbehaglich, das Geschehen auf dem Bildschirm so widerwärtig vorgekommen wie in den 20 Stunden die ich mit diesem Stück Dreck verbracht habe.

Wenn, wie Shigesato Itoi gesagt haben soll, Videospiele wie Prostituierte sind, ist Kingdom Hearts 2

das Paradebeispiel für seine These. Sich selbst für nichts, aber auch gar nichts zu billig, verdreht es die Augen, geht vor dem Spieler in die Knie und macht sich an die Arbeit, routiniert und professionell, ohne auch nur den leisesten Hauch von Liebe.

All das was sich der Unterhaltungsindustrie an Verkommenheit vorwerfen lässt, hat Square in diesem Titel konzentriert: Geldgeilheit, bekannte Lizenzen, Füllmaterial, künstlich gestreckte Spieldauer, absolutes Desinteresse an interessanten Inhalten, Sequels statt Innovation, Kitsch und Production Values statt Kunst, Halbherzigkeit statt Sorgfalt…

Die ganze Idee hinter der Serie stinkt, wie man sie auch dreht oder wendet, nach Cash-Cow. Von Anfang an stand das Geld das sich mit ihr verdienen lässt als oberstes Prinzip: Wiederverwertung bestehender Franchises auf möglichst kostenschonende Art und Weise, vermarktet an ahnungslose Disney-Fans und die Horden sabbernder Jünger die Square jedes Jahr ihre zahlreichen FFVII Remakes abkaufen.

Das Konzept: ein generischer Anime/JRPG-Held trägt eine ebenso generische Anime/JRPG-Story durch einen Haufen Disney-Welten, vollgestopft mit Disney-Charakteren. Damit man das als Spiel verkaufen kann, muss noch eine Form der Interaktion mit rein, ein bißchen herumlaufen, ein bißchen kämpfen

Nun sind dumme und/oder aufgewärmte Konzepte in der Branche ja nichts unübliches sondern eher die Regel, allerdings klappt es dann häufig, diesen Umstand durch halbwegs solide Umsetzung vergeben und vergessen zu machen. Nach reiflicher Überlegung ist man bei Squenix wohl zu der Ansicht gelangt, dass die Zielgruppe für Kingdom Hearts 2 von solider Umsetzung oder sonstigen Qualitätsmerkmalen im Angesicht spitzhaariger kleiner Jungen und sprechender Enten nichts hält und hat gar nicht erst den Versuch unternommen, in dieser Disziplin Punkte zu holen.

Der Mist, den uns Squenix hier auftischt, ist so form- und bedeutungslos wie es überhaupt nur geht, der Kern der Geschichte lässt sich in 3 Worten zusammenfassen: Junge sucht Mädchen. Wie macht man daraus jetzt ein ganzes Spiel? Man strickt eine abstruste Rahmenhandlung um eine mystieröse Organisation XIII mit allesamt schwarzgekutteten Mitgliedern drumherum und lässt den Spieler bis ca. eine halbe Stunde vor Schluss im Dunkeln darüber. Die Geschichte spielt glücklicherweise kaum eine Rolle im Spiel, spätestens nach zwei Levels wird klar, dass die Rahmenhandlung keinen Bezug zu dem hat, womit wir uns im Spielverlauf beschäftigen: Die Disney Welten. Ich habe eine ganze Weile gebraucht um überhaupt dahinterzukommen, was wir in Agrabah (Aladdin), im Beast Castle (The Beauty and ihr wisst schon) oder im Land der Drachen (Mulan) eigentlich treiben. All diese Welten sind vollkommen autonom, keine hat mit Organisation XIII und der Suche nach Kairi, Soras Freundin aus Kingdom Hearts 1, zu tun sondern jeweils eine ihr gänzlich eigene Story die, oft auf die Dialogzeile und Kameraeinstellung genau, dem jeweiligen Disney-Film entspricht. In Kingdom Hearts 2 Bizarro-Universum ist das vielversprechendste Verfahren zum Auffinden kleiner Mädchen mit großen Füßen nicht systematisches Vorgehen. sondern wahlloses Abklappern aus dem Vorgängerteil bekannter Locations. Zufällig ist dabei in jeder einzelnen gerade Holland in Not und da unser Trio (“Sora! Donald! Goofy!”) es offenbar nicht eilig hat, stehen wir jedesmal tatkräftig der jeweiligen Hauptfigur (in den genannten Beispielen Aladdin, das Biest und Mulan) zur Seite. Wieder und wieder, bis alle Welten abgeklappert sind und wir nach einem vermeintlichen Wendepunkt der Handlung, der Klärung verheißt und Verwirrung bringt jede Welt einfach nochmal besuchen dürfen.

Der Hohn schlägt dir mit der flachen Hand ins Gesicht: Du hast alle Welten geschafft? Well done, do over! In den wenigsten Lokalitäten eröffnen sich beim zweiten Besuch neue Bereiche, Recycling ist gut für die Umwelt, deswegen sieht man sich vor allem den gleichen Charakteren in der gleichen Umgebung gegenüber die einen schon beim letzten Mal so angeödet hat. Bis auf wenige Ausnahmen haben Squenix es geschafft, den Disney-Schöpfungen, das gilt für Levels und Figuren gleichermaßen, sämtliches Leben auszusaugen. Die Verpflichtung sämtlicher Original-Synchronsprecher vermag die hölzernen Dialoge nicht zu retten. Die Sprache entbehrt in Kingdom Hearts 2 jeder Dynamik indem jede Zeile einzeln gesprochen wird, Pausen dazwischen den Redefluss vernichten und das gesamte Spiel gleichmäßig nach Tonstudio klingt.

Derselben Klötzchenbauweise folgen die weitgehend linearen Levels, die dem Spieler das Gefühl geben durch potemkinsche Dörfer aus altenPappkarton zu laufen. Lieblos und leblos dienen die Abschnitte vor allem als Schauplätze für die zahllosen, fürchterlichen Kämpfe. Bei den vielen Rauch- und Magieeffekten zeigt sich, das Squenix absolut in der Lage ist atemberaubende Grafik zu produzieren, doch wo kein Wille, da auch kein Weg und so wirken viele der Level extrem trist und steril. Krasse Beispiele hierfür sind der Bazar von Agrabah oder das Dorf im Land der Drachen, beides große Areale mit Hütten, Verkaufsständen, und keiner Menschenseele weit und breit. Einzig A Nightmare before Christmas fängt erstaunlich authentisch die Atmosphäre des Films ein.

Dass die Kombination von Final Fantasy und Disney-Welten aus verschiedenen Filmen ein gewagtes Unterfangen ist, dem Squenix nicht gewachsen war merkt man daran, wie sehr Sora wie ein Fremdkörper in den besuchten Welten wirkt. Tetsuya Nomuras mieses Charakterdesign beisst sich mit den Disney-Figuren, in Kingdom Hearts 2 trieft der gleiche glubschäugige Animekitsch und die gleiche plumpe Freundschaft-Glaube-Abenteuer Moral wie in FFX, die Mimik von Sora ist genauso hölzern und zweidimensional wie die von Tidus. Die Final Fantasy Figuren aus VII und VIII mit ihren bestehenden Backgrounds stimmig ins Spiel einzufügen wäre vermutlich noch schwieriger gewesen als bei Sora, so wird der Versuch gar nicht erst unternommen. Stattdessen trifft man auf sämtliche Square-Helden fast ausschließlich in einer der drei Nicht-Disney Welten, lediglich lose als Cameos in die Rahmenhandlung gepresst. Dort erfüllen sie keinerlei wichtige Funktionen, sondern dienen offensichtlich und ausschließlich dem Ködern der Final Fantasy Fans.

Kingdom Hearts 2 gelingt es nicht in der Rahmenhandlung oder einzelnen Szenen, auch nur einen Hauch von Spannung aufzubauen, die Dramatik des Spiels dümpel stets müde vor sich hin. Das liegt zum Teil an den mies aufgenommenen Dialogen, zum Teil an der konfusen Story, am völligen Scheitern der nötigen cinematographischen Techniken, an langweiligen Einstellungen und monotonen Schnitten aber vor allem am Fehlen eines Soundtracks: 90% aller Szenen, egal welchen Inhalts, ob “spannend”, “romantisch” oder “traurig” werden entweder von gar keiner Musik begleitet, oder lediglich von dem gleichen nervtötenden Sample das im Hintergrund der Levels plätschert während man von Abschnitt zu Abschnitt rennt. Ein Gutes hat das Ganze: KH2 lässt sich hervorragend ohne Ton, stattdessen mit einer netten CD im Hintergrund spielen.

Die beschriebenen Schwächen lassen sich vor allem der Präsentation zurechnen und wären vielleicht noch zu verschmerzen, wenn das eigentliche Spiel hinter all dem irgendwelche Substanz hätte.

Weit gefehlt.

Wie der Mensch aus Wasser, besteht Kingdom Hearts 2 zu gefühlten 80% aus Cutscenes. Die verbleibenden 20% Interaktion beschränken sich auf das Kampfsystem, den Charakterbildschirm und das ein oder andere Adventure-Element.

“Adventure-Element” meint hierbei ein zu erfüllendes Ziel das aus mehr besteht als von A nach B zu laufen und dabei Gegner zu verdreschen. Der Anteil dieser Elemente am Spiel ist verschwindend gering und konzentriert sich vor allem auf die Welten von Arielle und Winnie the Poo, Atlantis und 100 Acre Wood, die ausschließlich als Container für eine Reihe von Minigames dienen. Zu Beginn habe ich die grausamen Singspielchen in Atlantis und die lächerlich einfachen “Sammel soviele Honigtöpfchen ein wie möglich”-Aufgabe gehasst, aber je nerviger die Kämpfe im Spiel wurden, desto willkommen ist die Abwechslung die sich hier bietet. Die weiteren Aufgaben im Spiel bestehen aus nicht mehr als dem Einsammeln einer Handvoll Gegenstände, dem Abklappern bestimmter Checkpoints oder dem Überqueren eines Bildschirms. Das Highlight war ein “Rätsel” der Schwierigkeitsstufe “Wem gehören meine Socken?” dessen Antwort keine 5 Sekunden vorher nochmal rot unterlegt wiederholt wurde. Das klingt schlimm, aber selbst solche Scherze kamen mir gegen Ende sehr entgegen um mich von den Strapazen der zahlreichen Kämpfe zu erholen bei denen zartbesaiteten Gemütern schonmal schwindlig werden kann.

Squenix haben es geschafft, das Kampfsystem soweit zu vermurksen, dass das Geschehen auf dem Schirm fast nichts mehr mit deinen Eingaben zu tun hat. Diese Katastrophe in Aktion zu erleben ist wirklich beindruckend, Ich weiss gar nicht wo ich anfangen soll.

Die Grafik allein macht jede Koordination die über eine grobe Richtungsangabe hinausgeht unmöglich. Jeder Schwerthieb, jeder Schritt und jeder Treffer werden von einem Feuerwerk an Sternchen, Strahlen, Explosionen, Blitzen, Herzchen, Kondensstreifen und anderem Schnickschnack begleitet, während die Kamera sich einen Dogfight mit dem Getümmel auf dem Spielfeld leistet. Zum Glück ist viel Koordination aber gar nicht vonnöten denn ein Angriff läuft in etwa so ab: Ein Druck auf X startet die Attacke auf den nächsten Gegner der sich vor dir in Reichweite befindet. Diese Reichweite beträgt später im Spiel ungefähr 15 Meter, was jegliche manuelle Bewegung überflüssig macht. Trifft der Schlag, läuft eine Kombo ab, bei der der X Button dem Spiel mitteilt, dass man gerne weitermachen würde, das Timing spielt dabei keine Rolle. Du drückst einfach solange auf den Knopf bis der der Gegner sich in Luft auflöst.

Leichte Variation erfährt dieses Schema durch die Abilities die Sora im Verlauf der Spiels erlernt. Der Effekt der meisten dieser Fähigkeiten ist ziemlich undurchsichtig, aber du hast eigentlich immer genug AP um einfach alle zu aktivieren. Dabei merkt man, dass die Kombos etwas länger werden und der Schaden offenbar zunimmt, auch wenn die konkreten Zusammenhänge im Dunkeln bleiben. Der Ablauf eines Schlagabtausches folgt keinen erkennbaren Regeln. Klar, Kombo ist Kombo, aber unter welchen Umständen der Gegner getroffen werden kann, welche Kriterien erfüllt sein müssen damit ein feindlicher Angriff geblockt wird, bleibt unklar. Vielleicht sind solche Fragen aber auch einfach zu theoretisch, wenn ich mich recht entsinne musste ich in Kingdom Hearts 2 niemals blocken. Höchst selten kamen auch die Drive-Forms oder Reaction Command zum Einsatz, bei denen Sora mit Donald, Goofy oder beiden verschmilzt und dadurch zusätzliche Fähigkeiten gewinnt. Von den vier Beschwörungen haben ich in der Hektik ein einziges Mal aus Versehen Aladdins Djinni gerufen, musste ihn aber unverrichteter Dinge wieder ziehen lassen. Weder war seine Anwesenheit gerade erforderlich, noch war sein Auftreten in visueller Hinsicht vielversprechend. Ähnlich nutzlos ist die Magie die Sora zur Verfügung steht, einzig der Heilzauber kommt regelmäßig zum Einsatz, wenn Donalds KI trotz eingestellter Priorität auf Heilung keine Anstalten macht, Sora in kritischen Momenten beizustehen. Stattdessen neigt er dazu, erst genau dann seine letzten MP zu verschwenden, wenn du gerade selbst deinen Weg durch das Menü zum Heal-Spruch gefunden hast.

Drive-Forms, Summons, Magie sind in den hektischen und unübersichtlichen Kämpfen dummerweise nur über eben dieses fummelige Menü zugänglich. Der Aufwand sich dort durchzuklicken lohnt sich kaum, verglichen mit dem Schaden den Sora durch einfache physische Angriffe verursacht. Dass das hirnlose Getrigger bei dem Kanonenfutter das anfangs zu unseren Füssen kreucht und fleucht funktioniert ist ja vielleicht zu erwarten, dass aber bis zur 18. Spielstunde selbst Bosse dieser Taktik nichts entgegenzusetzen haben ist echt ein Scherz. Wieder gilt: Es könnte schlimmer sein, wenn alle Bosse so abgehen würden wie die letzen. Plötzlich steht man einfach Gegnern gegenüber, deren Waffenradius sich über die komplette Karte erstreckt, die einen ständig mit unblockbaren Attacken umwerfen, sich schneller wegbeamen als die Kamera hinterherkommt oder ähnliche Scherze treiben. Hier fing ich dann an, Heiltränke zu benutzen oder zu gucken was es überhaupt neben den Waffen noch für Ausrüstungsgegenstände gibt. Nach 18 Stunden im Spiel sah ich mich das erste Mal bemüßigt, meinem Equipment etwas Beachtung zu schenken. Mit etwas Geduld und ein paar Versuchen ist der Bossmarathon vor Schluss dann zwar zu schaffen, aber die Kämpfe bleiben stets unglaublich unfair und frustig.

Was gäbe ich dafür, Tetsuya Nomura tief in die Augen blicken zu können. Ganz unter uns, würde ich ihn fragen, wie er nach Kingdom Hearts 2 nachts ruhig schlafen kann. Wie er diese Dreistigkeit rechtfertigen will und ob ihm Würde noch irgend etwas bedeutet. Den meisten der zahlreichen Mistspiele da draussen kann man ihre Fehler nachsehen weil sie auf mangelndes Können oder schlechten Geschmack zurückzuführen sind. Kingdom Hearts 2 ist, mehr noch als sein Vorgänger, das Resultat niederer Beweggründe.

Die zweite Hälfte des Spiels war Arbeit für mich, kein Vergnügen. Zusammen mit shad habe ich aus glasigen Augen den Bildschirm angestarrt, wie paralysiert, nicht einmal in der Lage mich angemessen aufzuregen. Mit Kopfschmerzen bin ich anschließend ins Bett gegangen und habe mich leise in den Schlaf geweint.

Warum zur Hölle hab ich mir das angetan? Der Anreiz Kingdom Hearts 2 überhaupt erst in die Finger zu nehmen war für mich ein wenig wohlwollender Thread bei Insertcredit, grausame Schilderungen eines Freundes und schließlich das bei MarcTV gepostete Introvideo (nix für ungut Marc :). Nach all dem konnte ich kaum fassen das so ein Spiel tatsächlich existieren sollte und ehe ich mich versah, war es zu spät um aufzuhören. Kingdom Hearts 2 und dieses Review haben mich zum Nachdenken gebracht, über die Zukunft der Spiele und über die Zukunft von kackreiz.net. Bei diesem Thema auf dem Laufenden zu bleiben erfordert viel Aufmerksamkeit, darüber zu bloggen verlangt Zeit die ich nicht habe. Meine Reviews verfasse ich vor allem aus Spaß am Schreiben, aber Kingdom Hearts 2 hatte mit Spaß nicht viel zu tun. Dass die Tage in denen ich die Spiele nur ihrer selbst willen gespielt habe vorbei sind ist klar, diesen kritischen Blick wird man nicht mehr los, aber wenn ich keinen Mittelweg finde wird mir dieses Hobby wahrscheinlich bald zum Hals heraushängen. Zum Glück kommen auf 10 Kingdom Hearts immernoch 1 Shadow of the Colossus oder Outrun 2. Beide haben mich in den letzten Tagen beschäftigt und mir die Hoffnung zurückgegeben, dass in dieser Branche doch nicht alles verloren ist. In Zukunft werde ich um schlechte Spiele einfach einen großen Bogen machen, dafür ist meine freie Zeit zu kostbar geworden.